Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod
einmal als Kellner gearbeitet?«
Es gab nicht viele Berufe, in denen Andrej noch nicht gearbeitet hatte, aber er fragte nur: »Was hast du vor?«
»Wir brauchen ein Versteck«, erinnerte Corina. »Sie werden jeden kontrollieren, der den Palast betritt oder verlässt, aber auf die Diener und Mägde wird niemand achten.«
»Du willst dich ausgerechnet im Dogenpalast verstecken?« Andrej deutete auf das gewaltige Gebäude und machte nicht nur eine ärgerliche Geste, sondern fuhr auch etwas lauter und in verändertem Ton fort: »Das ist verrückt, Corinna.«
»Ich weiß«, antwortete Corinna, plötzlich genauso ernst wie er. »Aber ich muss ein paar Vorkehrungen treffen und mit ein paar Leuten reden. Heute Abend auf dem Maskenball sind sie alle zusammen. Aber du musst mich nicht begleiten. Wenn es dir zu riskant ist, kannst du sicher auch in Marios Küche warten, bis ich zurückkomme. An einem Tag wie heute ist er für jede helfende Hand dankbar.«
Andrej überging die Spitze. Er war nicht einmal ärgerlich, sondern empfand wieder Trauer – die vielleicht nichts anderes war als vorweggenommener Abschiedsschmerz. Sie war ein Kind. Er hatte es nur die ganze Zeit über nicht sehen wollen. »Vorkehrungen?«, fragte er.
»Ich bin ein verwöhntes, reiches Mädchen. Ich kann nicht mit leeren Händen gehen«, antwortete Corinna. »Oder nur mit dem, was ich auf dem Leib trage. Ich brauche Geld, und gewisse Papiere müssen beschafft werden. Es wird nicht einfach, ohne dass die Signori es merken, aber meine Familie hat einflussreiche Freunde.«
»Die du alle zurücklassen willst.«
»Von wollen kann keine Rede sein, Andrej«, erinnerte sie ihn und versuchte, ihren Worten mit einem Lächeln etwas von ihrer Schärfe zu nehmen, scheiterte aber kläglich. Andrej schwieg.
»Es gibt hier nichts mehr, was mich noch hält«, fuhr Corinna fort. »Mein Bruder ist tot, und jetzt auch mein Vater. Selbst wenn es die Signori nicht gäbe, würde ich vielleicht nicht hierbleiben. Die Welt ist zu groß, um ein ganzes Leben nur in einer einzigen Stadt zu verbringen.« Sie legte den Kopf zur Seite und schien darauf zu warten, dass er irgendetwas erwiderte, aber das tat er nicht. Stattdessen spielte er mit dem Gedanken, einfach aufzustehen und zu gehen. Er wollte ihr nicht wehtun, aber er würde es müssen, und wahrscheinlich umso mehr, je länger er damit wartete. Sie wollte sich unter die Gäste des Maskenballs mischen und Freunde der Familie ansprechen, um alte Gefälligkeiten einzufordern und ihre Flucht aus der Stadt vorzubereiten, was zumindest Rezzori und seine Signori als Schuldeingeständnis werten würden? Das war nicht nur naiv, das war kindisch.
Als er nicht antwortete, änderte sie ihre Taktik. »Ich bin sicher, wir erfahren auch etwas über den Verbleib von Marius und deinem Freund.«
»Dort?« Andrej zeigte auf den Palast und wurde mit einem heftigen Nicken belohnt.
»Wenn du glaubst, Küchenmägde und Waschweiber wären schwatzhaft, dann hast du die Damen der sogenannten besseren Gesellschaft noch nicht erlebt. Wenn irgendjemand etwas weiß, dann erfahren wir es dort.«
Eine unwahrscheinliche Vorstellung. Andrej machte sich nicht einmal die Mühe, darauf zu antworten. Tatsache war, dass sie keine Ahnung hatte, was sie tun sollte. Vielleicht war es einfach ihre Art, mit der Panik fertig zu werden. Er schwieg.
»Und Mario wird uns auch helfen, ein sicheres Versteck zu finden«, plapperte Corinna weiter. »Nur falls wir es brauchen, heißt das.«
»Ja, gewiss«, antwortete er. »Und wir werden auch nicht …«
Etwas zupfte an seinen Gedanken. Das Gefühl war so vage, dass er es kaum bemerkte, allenfalls ein Hauch, nur das Echo einer Erinnerung. Dennoch war es so eindeutig, dass er zusammenzuckte.
»Was hast du?«, fragte Corinna alarmiert.
»Nichts«, antwortete Andrej.
»Ja, genauso siehst du auch aus«, sagte Corinna. »Hat dir schon einmal jemand gesagt, dass du ein ganz schlechter Lügner bist, Andrej Delãny?«
Schon mehr als einmal, auch wenn das nicht der Wahrheit entsprach. Er bewies es ihr. »Mir fehlt nichts«, sagte er, »und ich habe auch nichts. Es gefällt mir nur nicht, dass du diesem Kerl vertraust, das ist alles.«
»Mario?« Corinna sah ihn verständnislos an.
Er nickte. »Mario. Wie lange kennst du ihn schon?«
»Länger als dich«, antwortete Corinna gereizt.
Wieder spürte er das Zupfen, nicht einmal deutlicher, aber auf schwer zu greifende Art fordernder. Dieses Mal hatte er sich besser in
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