Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod
gleich, wenn es wirklich so wäre. Du würdest nie einen Menschen töten, der es nicht verdient hat, das weiß ich. Mach mich so wie dich, Andrej. Wir könnten für alle Zeiten zusammen sein. Für die Ewigkeit.« Und einen Tag.
Andrej wollte antworten, sie anschreien, irgendetwas – aber er konnte es nicht. Vielleicht weil ihm das, was sie sagte, so absurd vorkam, dass er am liebsten einfach losgelacht hätte.
Aber auch das konnte er nicht.
Ganz im Gegenteil überkam ihn Trauer, denn ihm war, als würde er mit einem Kind reden, nicht mit einer jungen Frau. Alles, was er sagen wollte, blieb ungesagt.
Zu seiner Erleichterung kam in diesem Moment der Wirt zurück und stellte ein Tablett mit einer gläsernen Karaffe und zwei kostbar geschliffenen Gläsern vor ihnen auf den Tisch. »Wie ich es versprochen habe, Contessa«, sagte er. »Mein bester Chianti, aus meinem privaten Vorrat.«
»Dann habe ich unserem Freund Andrej nicht umsonst von Eurem berühmten Wein erzählt.«
»Aber Contessa!« Mario drohte ihr gutmütig mit dem Zeigefinger. »Würde ich Euch und Euren Vater etwa enttäuschen? Wie geht es ihm überhaupt? Doch ein wenig besser, hoffe ich?«
Andrej behielt Corinna genau im Auge, als sie antwortete. »So gut wie schon seit langer Zeit nicht mehr. Wenn auch leider noch nicht gut genug, um selbst zu kommen und Euch zu sagen, wie sehr er Eure Gastfreundschaft und vor allem die langen Gespräche mit Euch vermisst.«
Andrej war erstaunt – gelinde ausgedrückt. Es war erst wenige Stunden her, dass Corinnas Vater in ihren Armen gestorben war, dennoch hatte selbst er Mühe, ihr in diesem Moment nicht zu glauben. Sie war eine erstaunlich gute Schauspielerin.
»Das freut mich wirklich zu hören«, sagte Mario. »Und sobald der Carnevale vorüber ist, verspreche ich, Euch und Euren Vater einmal in Eurem Palazzo zu besuchen. Aber im Augenblick …«
»… stehlen wir Euch nur die Zeit, ich weiß«, führte Corinna den Satz zu Ende. Mario sah ein bisschen verlegen aus, aber er tat ihr nicht den Gefallen zu widersprechen oder auch nur den Kopf zu schütteln. »Wenn es Euch nichts ausmacht, dass ich mich nicht so um Euch kümmern kann, wie es eigentlich meine Pflicht wäre, dann könnt Ihr auch drinnen Platz nehmen«, sagte er stattdessen. »Es ist kalt hier draußen.«
»Das macht uns nichts«, behauptete Corinna. »Andrej ist von weither gekommen, um den berühmten Carnevale mitzuerleben, da werden wir gewiss nicht irgendwo drinnen warten, nur weil es dort wärmer ist.«
Mario maß Andrej mit einem Blick, von dem dieser nicht genau sagen konnte, ob er nur neugierig oder auch misstrauisch war. Freundlich war er jedenfalls nicht.
»Und damit wären wir dann auch schon beim Thema«, fuhr Corinna fort und zwinkerte Mario verschwörerisch zu. »Andrej ist ein wirklich guter Freund der Familie, und wir möchten ihm etwas ganz Besonderes zeigen. Ihr beliefert doch noch immer den großen Maskenball heute Abend?«
»Selbstverständlich, Contessa«, antwortete Mario. Sein Grinsen wurde jetzt verschlagen. »Oh, ja, jetzt verstehe ich. Aber Ihr wisst schon, worauf Ihr Euch da einlasst? Es wird nicht leicht.«
»Schwere Arbeit hat mich noch nie geschreckt«, gab Corinna zurück. »Nicht, wenn so ein Spaß lockt.«
»Dann bereite ich alles vor. Und wenn Euch doch zu kalt wird …« Er deutete mit dem Kopf auf die Tür. Bevor er ging, schenkte er ihnen noch zwei Gläser des dunkelroten Weins ein. Corinna wartete, bis er im Haus verschwunden war, dann trank sie einen kräftigen Schluck und bedeutete Andrej mit einer auffordernden Geste, es ihr gleichzutun. Andrej gehorchte und stellte fest, dass der Wein wirklich von ausgezeichneter Qualität war. Mit dem Gesöff, das sie in ihrem bisherigen Gasthaus bekommen hatten, hatte er allenfalls den Namen gemein. Dennoch nippte er nur daran.
»Erzählst du es mir freiwillig, oder muss ich erst ein paar umständliche Fragen stellen oder eine witzige Bemerkung machen?«, fragte er.
»Warum versuchst du nicht mal etwas Neues?«, fragte Corinna. »Zum Beispiel eine geistreich-witzige Bemerkung?«
Andrej zog wortlos die linke Augenbraue hoch. Verlegen nahm Corinna noch einen großen Schluck und betrachtete ihn schweigend über den Rand ihres Weinglases hinweg. »Mario beliefert den Palast mit Lebensmitteln und Wein«, sagte sie schließlich. »Heute Abend findet der erste große Maskenball statt. Seine Leute gehen in der Palastküche und dem Weinkeller ein und aus. Hast du schon
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