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Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod

Titel: Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wlofgang Hohlbein
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ihren Kamm überwunden hatte.
    Noch mehr Glas zerbarst. Schreie gellten, und er glaubte einen Laut zu hören, als stöhne das Haus selbst wie unter einem gewaltigen, unerträglichen Schmerz. Corinna klammerte sich mit solcher Kraft an ihn, dass ihre Fingernägel winzigen Messerchen gleich seine Haut ritzten. Hastig kroch Andrej noch ein Stück weiter von der aufgebrochenen Tür weg, schob Corinna von sich herunter und wollte sich gerade in die Höhe stemmen.
    »Signore Delãny«, sagte Rezzori. Sein Gesicht war angeschwollen. Eine dick verkrustete Wunde verunzierte seinen rechten Mundwinkel, und das darüber liegende Auge war dick und dunkelblau und grün verfärbt. Er hätte schlichtweg lächerlich ausgesehen, wäre da nicht in seinem Blick ein Ausdruck von blankem Hass und Mordlust gewesen.
    Und die Musketen in den Händen der beiden Soldaten neben ihm, die zwar zitterten, das aber nicht heftig genug, um nicht genau auf seine Stirn zu zielen.
    »Ich freue mich wirklich, Euch wiederzusehen, Signore Delãny«, fuhr Rezzori mit einem kalten Lächeln fort. »Auch wenn ich gestehen muss, dass ich Euren Sinn für dramatische Auftritte allmählich doch für etwas übertrieben halte.«
    Wieder zitterte der Boden unter ihnen, ganz sacht nur, aber zugleich auch auf eine so machtvolle Weise, dass Rezzori erschrocken den Kopf hob und zur Decke hinaufsah. Hastige Schritte erklangen, Schreie, das Zerbrechen von Glas und Porzellan und das Scharren und Poltern von umstürzendem Mobiliar. Andrej verspürte erneut jenes sonderbare Schwindelgefühl, das nicht aus seinem Inneren, sondern von außen kam, und neben ihm fuhr auch Corinna heftig zusammen und sah sich aus vor Angst geweiteten Augen um. Einer von Rezzoris Begleitern senkte seine Muskete und setzte dazu an, auf dem Absatz herumzufahren, wagte es aber dann doch nicht, als Rezzori ihn scharf ansah.
    »Was sind Sie, Signore Delãny?«, fuhr Rezzori fort, scheinbar vollkommen ungerührt und in einem bedrohlich klingenden Plauderton. »Einfach nur der größte Pechvogel, den diese Stadt je gesehen hat, oder die größte Bedrohung, der sie jemals ausgeliefert war?«
    Wenn man es genau nahm, dachte Andrej, vermutlich beides. Aber er kam nicht dazu zu antworten (was sich mit einiger Wahrscheinlichkeit auch als wenig zuträglich für seine Gesundheit erwiesen hätte), denn Corinna hatte endgültig ihren Schrecken überwunden, stemmte sich auf Hände und Knie hoch und funkelte Rezzori mit fast heiligem Zorn an. »Was fällt Euch ein, Signore? Habt Ihr schon vergessen, was Andrej getan hat?«
    »Ich bin nicht ganz sicher, ob ich es überhaupt weiß«, erwiderte Rezzori.
    »Unter anderem hat er etlichen Eurer Männer das Leben gerettet, wenn ich mich richtig erinnere«, sagte Corinna scharf. »Und Euch auch! Ihr solltet ein wenig Dankbarkeit zeigen!«
    Als sie ganz aufstehen wollte, schwenkte der Soldat, der gerade vergeblich versucht hatte, den Rückzug anzutreten, seine Muskete herum.
    Andrej straffte sich. Dass Corinna den Keim der Unsterblichkeit in sich trug, bedeutete nicht, dass sie auch schon unsterblich war. Insgeheim verfluchte er sich dafür, ihr vielleicht schon zu viel verraten zu haben. Was musste denn noch geschehen, bis er begriff, dass sie trotz all ihrer weiblichen Reize und unbestrittenen Abgeklärtheit eine junge Frau war, noch dazu eine, die sich nun für unverwundbar halten mochte?
    »Ich kann Euch das alles erklären«, sagte er hastig. »Aber vielleicht nicht hier. Wir sollten die Contessa an einen Ort bringen, der sicherer ist.«
    Corinna bedachte ihn mit einem zu gleichen Teilen vorwurfsvollen wie dankbaren Blick, und als hätten seine Worte noch einer Bestätigung bedurft, bewegte sich der Boden unter ihnen erneut wie ein schwerfälliges Schiff in der Dünung. Die Nervosität der beiden Signori nahm noch einmal zu, und Andrej fragte sich, wann wohl der Punkt erreicht sein mochte, an dem ihre Angst größer wurde als ihr Respekt vor Rezzori. Vielleicht noch ein paar Augenblicke. Falls sie noch so lange lebten.
    Augenscheinlich gelangte Rezzori wohl zu einem ganz ähnlichen Ergebnis, denn er bedeutete ihm mit einer herrischen Geste aufzustehen. Andrej war kaum auf den Beinen, als er auch schon mit zwei schnellen Schritten an Corinna und ihm vorbeiging und sich in die Tür der zerschmetterten Abstellkammer beugte. Die Hälfte des Bodens war fort, zusammen mit der hölzernen Klappe und dem Großteil der Treppe, die in die Unterwelt Venedigs hinabführte, und die

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