Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod
Boote stieß und dann mit einem Satz zu ihr hinuntersprang, der das ganze Gefährt bedrohlich zum Schwanken brachte.
Corinna fiel auf Hände und Knie, und die Nubierin stellte ihr den Fuß auf den Rücken und drückte ihr die Schwertklinge in den Nacken. Aus Corinnas Schrei wurde ein ersticktes Wimmern, aber immerhin hörte sie auf, sich zu wehren, als sie vor Schreck erstarrte. Andrej hatte ihr nie gesagt, dass ihre vermeintliche Unsterblichkeit spätestens mit ihrer Enthauptung endete, aber wahrscheinlich wusste sie das auch so.
Meruhe blieb stehen, drehte sich wieder zu ihm herum und bedeutete ihm mit einer herrischen Geste, ebenfalls anzuhalten. Schweigend warteten sie, bis die zweite Kriegerin zu ihnen aufgeholt hatte und zu ihrer Schwester und Corinna hinabgestiegen war, dann sprang auch sie in das winzige Boot, schüttelte aber abrupt den Kopf, als Andrej ihr folgen wollte. Noch immer ohne ein Wort zu sagen, deutete sie mit dem Schwert auf ein zweites Boot, und Andrej verstand.
Seufzend stieg er in das Boot und löste das Tau.
Kapitel 29
Sie waren fast eine Stunde gerudert. Zuerst zur anderen Seite der Insel San Marco und dann noch einmal ein mindestens ebenso weites Stück über offenes Wasser, das tagsüber gewiss in Sichtweite des Landes lag, sich aber jetzt ebenso gut in der Mitte des Ozeans hätte befinden können. Endlich hatten sie eine weitere Insel erreicht und waren dann noch ein gutes Stück zu Fuß gegangen. Andrej hatte keinen Augenblick verstreichen lassen, in dem er nicht verzweifelt darüber nachgedacht hatte, wie er Corinna befreien könnte. Aber das Schwert der Nubierin war nicht eine Sekunde von Corinnas Nacken gewichen, und Meruhe hatte ihm nicht gestattet, sich ihr auf mehr als zehn Schritte zu nähern.
Am Anfang waren die Häuser noch so groß und prachtvoll gewesen, wie er es von dieser reichen und angeberischen Stadt gewohnt war, bald aber säumten kleine Manufakturen und Werkstätten ihren Weg. Nur hinter sehr wenigen Fenstern brannte Licht, und auf dem ganzen Weg war ihnen kein einziger Mensch begegnet. Andrej vermutete, dass die meisten zur Hauptinsel gefahren waren, um den Carnevale zu feiern. Und die Verbliebenen mochte der Anblick der abenteuerlich aussehenden und bewaffneten Gruppe nachhaltig daran gehindert haben, auf die Straße zu treten oder auch nur neugierig aus dem Fenster zu blicken.
Sie befanden sich in einer niedrigen Halle, deren Zweck Andrej nicht ganz klar war, die aber auf ihre Art durchaus einen Ausschnitt der Hölle abbilden mochte; wenn auch einen von Menschenhand geschaffenen. Es war warm, fast schon heiß. Zahlreiche kleine Feuer, die in Essen und metallenen Schalen brannten, erfüllten den Raum mit flackerndem rotem Licht. Auf der anderen Seite erhoben sich drei mehr als mannshohe, gemauerte Öfen, die eine intensive Hitze ausstrahlten. Augenscheinlich wurden sie von oben befüllt, denn es gab einen schmalen Holzsteg, der über ihnen entlangführte. Überall waren lange Stangen aus Glas und quadratische Blöcke aufgereiht, von denen keiner weniger als einen Zentner wiegen konnte. Andrej erinnerte sich daran, was Rezzori ihm über die berühmte Glasbläserkunst von Murano erklärt hatte, und begriff endlich, wo sie waren, aber noch immer nicht, warum.
»Also gut, darauf hätte ich auch früher kommen können«, sagte Corinna.
Andrej sah sie fragend an. Es waren die ersten Worte, die er von ihr hörte, seit Meruhes Dienerin sie weggeschleppt hatte, und zugleich auch die ersten Worte, die seither überhaupt jemand sprach. Und noch etwas fiel ihm auf: Die Nubierin hatte ihr Schwert heruntergenommen, und Corinna stand keine drei Schritte neben ihm. Niemand schien etwas dagegen einzuwenden zu haben.
Und warum auch? Er war unbewaffnet, und schon die beiden Kriegerinnen zu besiegen wäre ihm nicht leichtgefallen. Die nubische Königin war ihm sowohl an Kraft als auch an Geschick weit überlegen.
Aber er wollte Corinna nicht noch mehr ängstigen, als es ohnehin der Fall war, also fragte er nur: »Worauf?«
»Wir sind auf Murano«, antwortete Corinna. »Wusstest du, dass Venedig einen Großteil seines Reichtums der hiesigen Glasbläserkunst verdankt?«
Andrej schüttelte verneinend den Kopf, und Corinna fuhr mit einem bekräftigenden Kopfnicken und einem der Situation ganz und gar unangemessenen Unterton von Stolz in der Stimme fort: »Und genauso groß ist ihre Angst, dass jemand das Geheimnis dieser Kunst verraten könnte. Es ist den Bewohnern der Insel
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