Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod
noch einmal zu euch zurückzukommen«, seufzte sie. »Die Sache kommt mich allmählich teuer.«
»Dann bringt uns zu Eurer Freundin, geschätzte Signorina, und Ihr seid uns sogleich wieder los und könnt zu Eurem gewohnten gottesfürchtigen Leben zurückkehren«, sagte Abu Dun. »Ansonsten bleiben wir noch ein bisschen.«
Das Mädchen war immerhin klug genug, nichts mehr darauf zu erwidern. Umständlich verstaute sie ihren Geldbeutel wieder unter dem Mantel und schlug dann die Kapuze nach vorne. »Ihr müsst hier auf mich warten«, sagte sie. »Dort hinten ist ein Gasthaus. Ich treffe euch dort in wenigen Minuten.«
»Und wer sagt uns, dass du wirklich zurückkommst?«, fragte Abu Dun.
»Niemand«, antwortete Corinna. »Aber wenn ich das nicht vorhätte, warum wäre ich dann überhaupt erst zu euch zurückgekommen?«
Das schien sogar Abu Dun zu überzeugen, auch wenn er sich alle Mühe gab, es sich nicht anmerken zu lassen. Er schwieg und beschränkte sich darauf, der jetzt wieder vermummten Gestalt nachzublicken, bis sie in der Menschenmenge verschwunden war.
Andrej tat dasselbe, die Stirn runzelnd wie der Nubier, wenn auch aus einem anderen Grund, denn er hatte etwas bemerkt, das Abu Dun in seinem Bemühen, den Missmutigen zu spielen, vielleicht entgangen war. Sowohl vor als auch hinter ihnen quoll die Straße geradezu über vor Menschen, die mit tausenderlei Dingen beschäftigt und zum Großteil sichtbar guter Laune waren, aber seltsamerweise kam ihnen niemand nahe. Wer konnte, machte bei ihrem Anblick unauffällig kehrt und ging in eine andere Richtung, und wenn ihm das nicht möglich war, dann passierte er sie in großem Abstand, selbst wenn er dazu anhalten und erst andere vorübergehen lassen musste. Abu Dun und er waren wie zwei Felsen in einem bunten Strom, um den herum sich das Wasser teilte, ohne seine Oberfläche zu benetzen. Für sie war es nichts Ungewohntes. Abu Dun überragte ausnahmslos jeden hier mindestens um Haupteslänge, und seine nachtschwarze Kleidung und das gleichfarbene Gesicht machten ihn auch nicht gerade vertrauenerweckender. Doch was er in vielen Gesichtern las – zumindest in denen, die nicht hastig gesenkt oder in eine andere Richtung gewendet wurden –, das war mehr als Scheu und Erstaunen oder das instinktive Erschrecken beim Anblick des schwarzen Riesen. In mehr als einem Augenpaar las er Feindseligkeit, manchmal Angst und in dem einen oder anderen Blick auch beides.
Auch in dem Arme-Leute-Viertel, in dem sie Unterkunft gefunden hatten, fielen sie mit ihren kostbaren Kleidern und den wertvollen Waffen auf, weckten aber vermutlich vor allem Neid und Begehrlichkeit, und die gehörige Abreibung, die er Corinnas Verehrern verpasst hatte, trug vermutlich auch nicht dazu bei, sich beliebter zu machen.
Hier jedoch, in diesem wohlhabenderen Viertel, sollte das eigentlich anders sein. Denn Venedig war eine Stadt, die seit Jahrhunderten vom Handel mit fremden Völkern lebte (wenn sie nicht gerade Krieg gegen sie führte) und deren Anblick gewohnt war; auch den noch weit exotischerer Erscheinungen als der eines sieben Fuß großen nubischen Hünen.
»Irgendetwas ist hier …«, begann er, und Abu Dun fiel ihm ins Wort: »Vielleicht sollten wir doch in dieses Gasthaus gehen, von dem deine neue Herzensdame gesprochen hat.«
»Sie ist nicht meine Herzensdame«, sagte Andrej scharf.
»Dann kümmert sie sich eben um ein anderes Körperteil.« Abu Dun hob ungerührt die Schultern. Dann tat er so, als überliefe ihn ein Schauder. »Mir ist jedenfalls kalt. Jemand hat mir einmal erzählt, dass es hier immer warm sein soll, aber er hat gelogen – oder es gibt noch ein anderes Venedig in einem anderen Teil der Welt. Ich würde mich nicht wundern, wenn es gleich zu schneien begänne.«
Das war zweifellos übertrieben, aber kalt war es tatsächlich. Die Luft roch leicht nach Schnee, auch wenn Andrej sicher war, dass es nicht schneien würde, und vom Wasser stieg ein eisiger Hauch auf, der ihn die Kälte noch mehr fühlen ließ, vor allem jetzt, wo Abu Dun ihn darauf aufmerksam gemacht hatte. »Es ist Januar«, sagte er nur.
»Ja, und kalt wie im tiefsten Winter im Land der Nordmänner«, sagte Abu Dun. Er zog eine Grimasse.
»Komm. Ich bin es leid, angestarrt zu werden, und ich habe wenig Lust, hier festzufrieren. Ich lade dich auf einen Krug Bier ein. Vielleicht bekommen wir ja hier eines, das auch danach schmeckt.«
»Du lädst mich ein?«, fragte Andrej. »Von meinem eigenen Geld?
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