Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod
leicht zusammen. »Meruhe?«, fragte er.
»Wenn das ihr Name ist.«
Abu Dun trat mit einem einzigen Schritt neben ihn und überragte nicht nur Andrej, sondern vor allem Corinna wie ein schwarzer, drohender Berg. »Was weißt du über Meruhe?«
»Auch nicht mehr als ihren Namen«, antwortete Corinna, ohne sich auch nur im Mindesten von Abu Duns drohendem Gebaren beeindrucken zu lassen. »Aber ich habe jemanden mitgebracht, der euch vielleicht weiterhelfen kann.«
Sie drehte sich um, hob die Hand und rief mit etwas lauterer Stimme: »Du kannst jetzt kommen, Balean. Keine Angst, niemand tut dir etwas!«
Eine weitere Gestalt löste sich aus den Schatten und kam mit zögerndem Schritt näher. Andrej spürte Angst, aber auch noch etwas, das er nicht einordnen konnte.
Es war ein magerer Junge von vielleicht neun oder zehn Jahren, in wenig mehr als Lumpen gekleidet und mit schulterlangem schmutzigem Haar. Seine Augen waren so groß vor Angst, dass sie schier aus den Höhlen zu quellen schienen, und an seinem schmutzigen Hals pochte eine Ader.
»Das sind Andrej Delãny und Abu Dun, von denen ich dir erzählt habe«, sagte Corinna. »Du musst keine Angst vor ihnen haben.«
»Muss er nicht?«, fragte Abu Dun.
Andrej warf dem Nubier einen warnenden Blick zu. Er war Abu Duns derbe Scherze gewohnt, solange sie sich kannten, aber seit einer Weile wurden seine Bemerkungen härter, und es gab Momente, in denen er ganz und gar nicht mehr sicher war, ob seine Worte wirklich nur scherzhaft gemeint waren.
»Nein, das musst du nicht«, sagte Andrej rasch. »Dein Name ist Balean?«
Ängstlich deutete der Junge ein Nicken an. Andrej ließ sich in die Hocke sinken und streckte die Hand aus, erreichte damit aber nur, dass Balean erschrocken zurückprallte und erst wieder stehen blieb, als Corinna ihm beruhigend die Hand auf die Schulter legte.
»Andrej sagt die Wahrheit«, sagte sie rasch. »Niemand tut dir etwas, keine Angst!« Sie machte eine auffordernde Geste zu Abu Dun. »Das ist der Mann, von dem ich dir erzählt habe. Erkennst du ihn wieder?«
»Kaum«, knurrte Abu Dun.
Balean sah aus großen Augen zu dem schwarzen Koloss hoch und schien all seinen Mut aufbieten zu müssen, um nicht die Flucht zu ergreifen, nickte aber dann und schüttelte gleich darauf den Kopf.
»Er sieht aus wie sie«, sagte er, »aber er ist größer.«
»Abu Dun ist größer als jeder«, antwortete Andrej schon fast automatisch. Das entsprach auch durchaus der Wahrheit, aber das Lächeln, das bei Bemerkungen wie diesen gewöhnlich über seine Lippen huschte, wollte diesmal nicht kommen.
»Und ich glaube, es war eine Frau«, fügte der Junge hinzu.
»Hatte sie rotes Haar?«, fragte Abu Dun.
»Das weiß ich nicht«, antwortete Balean. Seine Stimme zitterte ganz sacht, und Andrej konnte ihm ansehen, welche Überwindung es ihn kostete, Abu Duns Blick standzuhalten. Aber es gelang ihm, seine Furcht unter Kontrolle zu bringen, und Andrej zollte dem Mut dieses Jungen Respekt. Er hatte gestandene Männer gesehen, die unter Abu Duns Blick zusammengebrochen waren. Nicht dieses halb verhungerte Kind.
»Sie hatten … solche Tücher auf dem Kopf.«
»Tücher?«
»Er meint deinen Turban«, sagte Andrej, ohne Baleans Gesicht auch nur für einen Sekundenbruchteil aus den Augen zu lassen. »Und ihr Gesicht? Konntest du ihr Gesicht erkennen?«
»Nicht viel davon. Aber es war schwarz. Richtig schwarz, meine ich, nicht braun wie die meisten.«
»Eine Nubierin«, sagte Andrej auf Arabisch.
»Meruhe oder eine ihrer Dienerinnen«, bestätigte Abu Dun in derselben Sprache. An den Jungen gewandt und wieder auf Italienisch fuhr er fort: »Wo hast du sie gesehen, und wann?«
»Das darf ich nicht sagen, und –«
Abu Duns Hand zuckte so schnell vor, dass Andrej die Bewegung nicht einmal wirklich sah, mit der er den Jungen an der Jacke packte und mit nur einer Hand von den Beinen riss, bis sich ihre Gesichter auf gleicher Höhe befanden.
»Wo?!«, fauchte er.
»Abu Dun? Bist du verrückt?« Andrej war mit einem Satz bei ihm, drückte seinen Arm herunter und schob den Jungen hinter sich, wo Corinna ihn empfing und schützend in die Arme schloss. »Was ist in dich gefahren, Pirat? Hast du den Verstand verloren?«
Abu Dun sah auf ihn hinab, als dächte er ernsthaft darüber nach, ihn zu schlagen, verzog aber dann nur abfällig die Lippen. »Ganz wie du meinst, Hexenmeister«, sagte er. »Dann rede du mit ihm. Du kennst dich ja ohnehin besser mit Kindern
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