Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod
nirgendwo brannte ein Licht. Das allein überraschte ihn nicht. Sie waren oft genug hier gewesen, um zu wissen, dass in diesen Häusern nur wenige Menschen lebten. Dies war das Viertel der kleinen Schiffswerften, Netzknüpfer und Handwerker, und die meisten der kleinen Manufakturen schlossen bei Sonnenuntergang. Dennoch war es ihm beinahe zu still. Etliche der Arbeiter mussten in ihren Werkstätten leben, und selbst zu dieser späten Stunde hätte noch irgendjemand wach sein müssen.
Aber als er lauschte, hörte er rein gar nichts.
»Kommt dir das auch ein ganz kleines bisschen komisch vor?«, flüsterte Abu Dun. »Oder ist auch das wieder nur ein Zufall?«
»Der Junge riskiert eine Menge, um Euch zu helfen«, sagte Corinna. Anscheinend hatte Abu Dun doch nicht so leise gesprochen, wie er geglaubt hatte.
»Und dabei ist er so uneigennützig«, fügte Abu Dun hinzu.
Corinna drehte sich nun ganz zu ihnen um und maß den Nubier mit einem verächtlichen Blick. »Ich habe lange gebraucht, um sein Vertrauen zu gewinnen, schwarzer Mann. Es wäre nett, wenn Ihr es nicht sofort wieder zerstören würdet.«
Abu Dun schob kampflustig die Unterlippe vor, schüttelte aber dann nur den Kopf und entfernte sich ein paar Schritte, gerade weit genug, um Corinna glauben zu lassen, er wäre außer Hörweite.
»Dein Freund ist ein sonderbarer Mann«, sagte sie auch prompt und mit gesenkter Stimme.
»Ja, so könnte man es ausdrücken.« Andrej seufzte. »Manchmal ist er sogar noch sonderbarer als sonderbar.«
»Und du bist sicher, dass er dein Freund ist?«
»Eigentlich schon«, antwortete Andrej. »Er ist seit ein paar Tagen etwas gereizt, aber das ist eigentlich gar nicht seine Art, glaub mir.«
»Das tue ich.« Corinna sah zu Abu Dun hinüber, der fast mit den Schatten der Nacht verschmolzen war. »Es hätte auch nicht gepasst.«
»Was?«
»Dass du mit einem Mann wie Abu Dun befreundet bist«, sagte sie. »Diesem Abu Dun.«
Das traf ins Schwarze. Andrej sah nun ebenfalls zu Abu Dun hin, und obwohl seine Augen ungleich schärfer waren als die Corinnas, hatte er zuerst beinahe Mühe, ihn zu sehen. Dann begriff er, dass er ihn zwar sah, aber ihn nicht erkannte. Was, wenn sie recht hatte und Abu Dun vielleicht schon lange nicht mehr der Mann war, den er zu kennen glaubte?
Andrej war beinahe erleichtert, in diesem Augenblick ein Geräusch zu hören und eine Gestalt hinter Corinna aus den Schatten hervortreten zu sehen, gleich darauf gefolgt von einer zweiten, dritten und vierten. Ohne sich umzusehen, wusste er, dass hinter ihnen noch einmal mindestens dieselbe Anzahl von Männern aufgetaucht war. Sie waren bewaffnet, und es war eine Falle.
Selbstverständlich war es eine Falle.
»Enrico?«, fragte er trotzdem.
Er bekam nicht sofort eine Antwort, aber Abu Dun trat mit zwei schnellen Schritten wieder neben ihn, schlug seinen Mantel zurück und legte die Hand auf den Schwertgriff. Die stumme Front drohender Schatten kam weiter näher, wurde aber langsamer.
»Was geht denn hier vor?«, fragte Corinna. Sie klang empört, aber auch erschrocken. »Wir wollten mit –«
Die Männer blieben stehen. Abu Dun machte eine Bewegung, wie um seine Waffe zu ziehen, und zwei der vier Gestalten vor ihnen wichen hastig nach rechts und links und hielten plötzlich Musketen in den Händen, die sie auf Abu Dun und ihn anlegten.
»Die Waffen weg!«, sagte eine scharfe Stimme. »Legt eure Schwerter auf den Boden!«
Nach einem ganz kurzen, aber gefährlichen Moment des Zögerns spürte er, wie sich Abu Dun entspannte – was ihn aber keineswegs beruhigte. Rasch löste Andrej seinen Gürtel und ließ ihn fallen. Es klirrte, und dann noch einmal und sehr viel lauter, als auch Abu Duns gewaltiger Krummsäbel zu Boden fiel.
»Was soll denn das?«, empörte sich Corinna. »Wir sind gekommen, um –«
Einer der beiden anderen Männer schlug sie. Nicht sehr fest – das helle Klatschen verriet ihm, dass es nicht mehr als eine leichte Ohrfeige war, mit dem einzigen Zweck, sie zum Schweigen zu bringen – aber Corinna schlug mit einem halblauten Schrei die Hand vor das Gesicht und trat zwei Schritte zurück. Andrej sagte ruhig: »Wenn du das noch einmal tust, töte ich dich.«
»Wie melodramatisch«, sagte dieselbe Stimme, die ihn gerade aufgefordert hatte, die Waffe abzulegen. Enrico, vermutete er zumindest. Corinna wich mit zwei weiteren Schritten ganz zu ihnen zurück und presste sich zitternd an ihn, wie ein Kind, das instinktiv Schutz bei einem
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