Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod
synchronen Knall entluden, der noch in der halben Stadt zu hören sein musste, stießen zwei grellorangefarbene Blitze ins Wasser hinab. Aber es war wohl so, wie er gehofft hatte: Die Männer sahen ihn nicht, sondern schossen einfach aufs Geratewohl, und so unglaublich es ihm auch selbst schien, keiner von ihnen kam auf die Idee, den letzten Schritt bis ganz an die Kaimauer heran zu tun und einen Blick nach unten zu werfen. Hätte er noch einen Beweis gebraucht, dass er es nicht mit Kriegern oder gedungenen Mördern zu tun hatte, dann wäre es wohl das gewesen. Sie waren einfach nur Dummköpfe, denen ihr eigenes Tun einen solchen Schrecken eingejagt hatte, dass sie kaum noch zu einem klaren Gedanken fähig waren.
Andrej hoffte inständig, dass das auch so blieb. Er war nicht in der Verfassung zu kämpfen. Nicht gegen eine solche Übermacht und nicht, ohne einen oder auch mehrere töten zu müssen, um die anderen hinlänglich zu entmutigen – und das wollte er immer noch nicht. Trotz allem glaubte Andrej nicht, dass die Männer Abu Dun und ihn wirklich hatten umbringen wollen. Auch mit Gewalt musste man umgehen können, sonst neigte sie nur allzu leicht dazu zu eskalieren.
Zwei weitere Schüsse – diesmal in größerem Abstand – wurden abgegeben, und die Stimmen und Schritte wurden noch einmal lauter. Er erkannte Corinnas Stimme, die immer noch sehr erregt klang, ohne aber zu verstehen, was sie sagte; dann sah er Metall über sich schimmern, und etwas versank mit einem lauten Klatschen nur eine Armeslänge neben ihm im Wasser, unmittelbar gefolgt von einem zweiten und noch einmal deutlich schwereren Gegenstand, der wie ein Stein unterging. Abu Duns Waffengurt und sein eigener. Andrej wunderte sich, dass die Männer die kostbaren Waffen einfach so wegwarfen, ließ sich aber wieder tiefer ins Wasser gleiten, als sich nun doch eine der Gestalten über ihm vorbeugte und ihre Fackel hob. Das rote Licht kam ihm fast bis auf eine Handspanne nahe und huschte dann in die andere Richtung davon. Wären seine Lippen nicht unter Wasser gewesen, hätte er vermutlich erleichtert aufgeatmet.
Zugleich aber fragte er sich, wie lange er es hier noch aushalten konnte. Die Kälte war grausam und schien mit jedem Moment nur noch schlimmer zu werden. Längst war jedes Gefühl aus seinen Fingern und Zehen gewichen. Seine Muskeln waren verkrampft und schmerzten höllisch, und sein Herz pumpte nur mit großer Mühe das Blut durch seine Adern. Wenn er sich jetzt schnitt, dachte er matt, würden vermutlich rote Eissplitter aus der Wunde rieseln.
Zeit verging, vermutlich nur wenige Minuten, die ihm aber wie ebenso viele Stunden vorkamen, in denen er sich wassertretend und um jeden Atemzug ringend gegen die raue Wand in seinem Rücken presste und in denen er beständig erwartete, doch noch entdeckt zu werden. Seine Kraft hätte noch gereicht, unter Wasser wegzuschwimmen und sich in Sicherheit zu bringen, aber das wagte er nicht, schon aus Angst, die Stelle nicht mehr zu finden, an der die Männer Abu Dun ins Wasser geworfen hatten. So blieb ihm nichts anderes übrig, als sich in Geduld zu fassen und zu hoffen, dass er nicht erfror, bevor sie endlich verschwanden.
Zumindest seinem Gefühl nach fehlte nicht mehr viel dazu, als es über ihm endlich stiller wurde. Die Fackel erlosch, und kurz darauf entfernten sich auch die Stimmen. Andrej ließ vorsichtshalber noch Zeit verstreichen, bevor er sich herumdrehte und die Arme ausstreckte, um nach der Kaimauer zu greifen.
Doch als er links von sich Geräusche hörte, ließ er sich hastig wieder ins Wasser zurücksinken. Als schwarzer Schatten löste sich nur einen Steinwurf entfernt ein Boot von der Kaimauer, einen halben Atemzug darauf gefolgt von einem zweiten. Ruder wurden ins Wasser getaucht, und die beiden kleinen Schiffchen entfernten sich beinahe lautlos. Das Klappern seiner eigenen Zähne jedenfalls kam ihm deutlich lauter vor.
Andrej wartete, bis das Echo der Ruderschläge mit den Lauten der Nacht verschmolzen war, wappnete sich innerlich gegen die Dunkelheit und die Kälte, die ihn nun erwarteten, und sog seine Lungen noch einmal voll Luft, bevor er all seinen Mut zusammennahm und tauchte.
Er brauchte vier Anläufe, um Abu Dun zu finden. Das Wasser war so kalt, dass er das Gefühl hatte, sich durch flüssiges Feuer zu bewegen. Es war zwar nur gute drei Meter tief, aber schon eine Handspanne unter der Oberfläche pechschwarz, sodass er allein auf seine tastenden Hände angewiesen war.
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