Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod
hustete, wälzte sich mühsam auf die Seite und hustete noch einmal und qualvoller, bevor aus dem Husten ein würgendes Erbrechen wurde.
»Es tut mir leid«, sagte Andrej. Es war ehrlich gemeint, klang aber sogar in seinen eigenen Ohren billig. Beinahe hoffte er, dass Abu Dun es nicht gehört hatte. Er fühlte sich so hilflos, dass es fast wehtat.
»Wo warst du, Andrej?«, fuhr Abu Dun fort, sich wieder zu ihm herumdrehend, aber immer noch geradewegs durch ihn hindurchstarrend, den Blick auf einen Punkt im Nichts fixiert, dort, wo unsagbares Grauen wohnte. »Ich habe auf dich gewartet, Andrej, aber du bist nicht gekommen.«
»Es ging nicht schneller«, sagte Andrej. »Es tut mir leid, wirklich. Ich kann mir vorstellen, was du durchgemacht hast.«
»Nein«, antwortete Abu Dun. »Kannst du nicht.« Er versuchte sich aufzusetzen, aber das Gewicht seines nassen Mantels zog ihn zurück. Keuchend stemmte er sich dennoch hoch, schlug die Beine unter und ließ die Schultern hängen. Selbst in dieser Haltung war zu erkennen, dass er ein großer Mann war, aber sie schien seine Schwäche nur noch zu unterstreichen.
»Wir … sollten von hier verschwinden«, sagte Andrej. »Jemand könnte die Schüsse gehört haben und herkommen. Ich habe keine Lust auf neugierige Fragen.«
»Wie lange braucht eine Kette aus Eisen, um durchzurosten?«, fragte Abu Dun unvermittelt.
Verwirrt sah Andrej ihn an.
»Erinnerst du dich an den Daimon?«, murmelte Abu Dun, immer noch mit leiser, brüchiger Stimme und weiter mit gesenktem Blick.
»Auf Malta?« Andrej nickte. »Ja. Das ist lange her.«
»Mehr als hundert Jahre«, flüsterte Abu Dun. »Wir haben ihn in Ketten gelegt und ins Meer geworfen, weil wir uns keinen anderen Rat wussten …«
»Weil er es verdient hatte!«
»… und dann haben wir ihn vergessen«, fuhr Abu Dun mit einer Stimme fort, in der nun ein neuer, schrecklicher Ton mitschwang, der Andrej einen eisigen Schauer über den Rücken jagte. »Bete, dass er uns auch vergessen hat, Andrej!«
»Warum?«
»Irgendwann werden seine Ketten durchrosten, und ich bete zu Allah, dass er bis dahin vollkommen den Verstand verloren hat und sich nicht mehr an uns erinnert, Hexenmeister, denn wenn nicht, dann wird er die ganze Welt einreißen, um unser habhaft zu werden.«
»Dann sollten wir vielleicht nach Malta zurückkehren und eine Schiffsladung Felsen auf ihn abwerfen«, schlug Andrej mit einem angedeuteten und verunglückten Lächeln vor. »Stein rostet nicht.«
»Er wird uns finden, Andrej«, sagte der Nubier. »Und er wird –«
Etwas raschelte, und Andrej fuhr mit einer fließenden Bewegung hoch und herum und riss den Dolch in die Höhe, um ihn zu schleudern, und –
Die Zeit blieb stehen.
Die Welt zerbarst, als wäre sie ein täuschend echt auf Glas gemaltes Bild, das vom Hammerschlag eines zornigen Riesen getroffen wurde. Was blieb, war Schwärze auf der anderen Seite des Bootshauses und darin eine kindergroße, bleiche Gestalt, die ihn aus schwarzen Augen anstarrte – seine persönliche Nemesis, die mit einem einzigen Schritt über den Abgrund des Wahnsinns hinweg in seine Welt getreten war, um ihn endgültig zu zerstören.
Vater. Ich habe auf dich gewartet, aber du bist nicht gekommen. Warum hast du mich alleingelassen?
Andrej schrie auf, riss den Dolch erneut in die Höhe und legte all seine gewaltige Kraft in diesen einen Wurf, obwohl er wusste, dass keine Waffe dieser oder irgendeiner Welt eine Kreatur töten konnte, die nie gelebt hatte und nur im dunkelsten aller Abgründe existierte, dem, der in seiner eigenen Seele lauerte.
Vielleicht war der Schrecken einfach zu groß, sodass seine Hand zitterte, vielleicht lähmte die Kälte auch seine Muskeln und nahm ihm die gewohnte Treffsicherheit, und möglicherweise begriff auch irgendetwas in ihm im allerletzten Moment seinen Irrtum und versetzte der Waffe einen Drall in eine andere Richtung. Der Dolch wurde ein silberner Blitz und verfehlte sein Ziel, wenn auch nur so knapp, dass er eine von Corinnas schwarzen Locken abtrennte, bevor er sich hinter ihr bis zum Heft in das morsche Mauerwerk bohrte.
Corinna schrie auf, zuckte zur Seite und zurück und hob die Hand ans Gesicht. Sie betrachtete ihre Finger, als könne sie nicht glauben, kein Blut darauf zu gewahren. Dann drehte sie mit einem Ruck den Kopf herum und starrte ihn aus aufgerissenen Augen an.
»Andrej«, flüsterte sie. »Aber was …?« Sie stockte, und ihre Augen wurden noch größer. »Aber wieso
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