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Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod

Titel: Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wlofgang Hohlbein
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Das Netz und die Seile, mit denen der Nubier gefesselt war, waren äußerst stabil, und seine Finger vor Kälte längst gefühllos und ungelenk, und ihm fehlte die Kraft, die Stricke einfach zu zerreißen. Er musste weitere drei Mal zur Oberfläche zurückkehren und Luft holen, bevor es ihm gelang, seinen Waffengurt in dem knietiefen Morast auf dem Meeresgrund zu finden und den Dolch herauszuziehen, und dann noch zwei Mal, um die Maschen des stabilen Netzes weit genug zu zerschneiden.
    Andrej war klar, dass seine Kräfte nicht mehr ausreichten, um Abu Dun auf die Kaimauer zu hieven, aber er erinnerte sich an die beiden Boote, deren Abfahrt er beobachtet hatte, drehte den Nubier auf den Rücken und zog ihn hinter sich her, während er mit immer mühsamer werdenden Bewegungen losschwamm.
    Die Strecke war nicht weit. Unter normalen Umständen hätte er sie unter Wasser schwimmend zurücklegen können, ohne auch nur einmal zum Luftholen auftauchen zu müssen, jetzt aber war er nicht einmal mehr sicher, es überhaupt zu schaffen. Und er wusste schon gar nicht, was ihn dort erwartete.
    Das Glück war ihm ein zweites Mal hold, obwohl er nicht darauf zu hoffen gewagt hatte. Aus dem Schatten, auf den er zuhielt, wurde ein wuchtiges steinernes Gebäude mit einem zum Wasser hin offen stehenden Tor – vielleicht ein Bootshaus oder eine der zahlreichen kleinen Werften, die so typisch für dieses Viertel waren. Andrej schwamm hinein und entdeckte einen schmalen hölzernen Steg nahezu auf Höhe der Wasserlinie. Er spürte, dass seine Kräfte nun nachließen. Irgendjemand hatte ihm einmal gesagt, dass Erfrieren ein angenehmer Tod sei, aber dieser Jemand wusste es ganz offensichtlich nicht aus eigener Erfahrung. Mit letzter Kraft und schwer keuchend zog Andrej Abu Dun auf den Steg hinauf und dann auf festen Boden. Allein der mit Wasser vollgesogene Mantel des nubischen Riesen war schwer wie Blei, von seinem Besitzer ganz zu schweigen.
    Zu Tode erschöpft ließ sich Andrej neben ihm zu Boden sinken, schloss die Augen und konzentrierte sich für endlose Minuten auf nichts anderes als tief ein- und auszuatmen und sein Herz mit purer Willenskraft zum Weiterschlagen zu zwingen. Er wollte nichts mehr, als sich in die warme Umarmung einer erlösenden Ohnmacht sinken zu lassen, und zugleich hatte er fast schon panische Angst vor dem, was jenseits der Schwärze auf ihn warten mochte. Und das war nicht alles: Abu Dun hätte längst wieder aufwachen müssen, ertrunken oder nicht, und obwohl Andrej im Moment selbst um sein Leben kämpfte, überwog doch die Sorge um seinen Freund. Matt und noch immer mit vor Schmerz zusammengebissenen Zähnen stemmte er sich in eine halbwegs sitzende Position hoch und sah in Abu Duns Gesicht.
    Doch statt erleichtert aufzuatmen, schrak er zusammen, als er die schreckliche Leere in Abu Duns Augen sah. Schmerz und Schwäche waren augenblicklich vergessen.
    »Pirat?«, fragte er. Er bekam keine Antwort, aber etwas flackerte tief in Abu Duns Blick, noch kein Erkennen, aber immerhin ein schwaches Echo davon.
    »Abu Dun?«, fragte er noch einmal und etwas lauter. Sein Herz schlug schon wieder hart, und ein bitter-metallischer Geschmack lag auf seiner Zunge. Da war etwas in Abu Dun, das ihn erschreckte. Eine Dunkelheit, die er nicht kannte.
    »Ist alles in –«, begann er.
    »Neun«, murmelte Abu Dun. »Neun Mal, Hexenmeister. Dann habe ich aufgehört zu zählen.«
    Andrej verstand nicht gleich. »Neun Mal was?«, fragte er.
    »Ich bin neun Mal ertrunken, Andrej«, antwortete Abu Dun. »Hintereinander.« Es gelang ihm, das Flackern seines Blicks unter Kontrolle zu bekommen und zu Andrej aufzusehen. »Bist du schon einmal ertrunken, Hexenmeister?«
    Auf diese rhetorische Frage erwartete er weder eine Antwort, noch bekam er eine. Jeder von ihnen hatte dieses Martyrium schon erlitten – mehr als einmal – und wusste, wie grässlich es war … aber neun Mal hintereinander? Andrej versuchte sich gar nicht erst vorzustellen, wie das sein mochte. Wortlos schüttelte er den Kopf.
    »Mehr als neun Mal, Andrej«, flüsterte Abu Dun. Allmählich kehrte das Leben in seine Augen zurück, aber sein Blick ging geradewegs durch Andrej hindurch, und er sprach mit einer Stimme, wie er sie noch nie von ihm gehört hatte. »Irgendwann konnte ich nicht mehr zählen. Es war so … so entsetzlich. Ich weiß jetzt, was ihr Christenmenschen meint, wenn ihr über die Hölle sprecht. Es ist kein Feuer, Hexenmeister. Es ist Wasser.« Er

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