Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir
daß wir allein seien.
›Aber wie sind Sie geworden, was Sie sind?‹ fragte er. Claudia hob fast unmerklich die Hand und blickte von ihm zu mir hinüber. Er mußte es auch gesehen haben, ließ es sich jedoch nicht anmerken. Ich wußte, was sie mir sagen wollte. ›Sie brauchen nicht zu antworten^ sagte Armand, und seine Stimme war leise und noch maßvoller als Claudias, weitaus weniger menschlich als meine. Wieder fühlte ich, wie ich in die Betrachtung jener Augen und jener Stimme verfiel, aus der ich mich nur mit Mühe befreien konnte.
›Sind Sie der Führer dieser Sippe?‹ fragte ich ihn.
›Nicht so wie Sie Führer meinen‹, antwortete er. ›Aber gäbe es hier einen, dann wäre ich dieser Führer.‹
›Ich bin nicht gekommen… verzeihen Sie bitte… um davon zu sprechen, wie ich geworden bin. Das ist für mich kein Geheimnis, kein Problem. Ich möchte daher lieber nicht von diesen Dingen sprechen, es sei denn. Sie verfügen über eine Autorität, der ich Rechnung tragen muß.‹
»Und wenn ich Ihnen sagte, ich hätte diese Autorität - würden Sie sie respektieren?‹
Ich wollte, ich könnte seine Sprechweise schildern, wie er jedesmal, wenn er die Stimme hob, aus einem Zustand der Kontemplation aufzutauchen schien, ganz ähnlich dem Zustand, dem ich mich entgegentreiben fühlte und gegen den ich mich nur so schwer wehren konnte; dabei blieb er unbewegt und war doch immer auf der Hut. Dies verwirrte mich und zog mich zugleich mächtig an, ebenso wie das Zimmer in seiner vornehmen Schlichtheit, mit den Büchern und Bildern, dem Schreibtisch und den beiden Kaminsesseln. Der Luxus unserer Hotelzimmer erschien mir dagegen vulgär und bedeutungslos. Abgesehen von dem sterblichen Jungen, dem schlafenden Jungen verstand ich alles.
›Ich bin nicht sieben, erwiderte ich und konnte die Augen nicht von dem schrecklichen und ehrfurchtgebietenden mittelalterlichen Satan abwenden. ›Ich müßte wissen, wovon… von wem sie kommt, diese Autorität, ob von anderen Vampiren… oder woanders her.‹
›Woanders her…‹, sagte er. »Was ist woanders her?‹
›Das!‹ Ich zeigte auf das mittelalterliche Bild.
›Das ist ein Bild‹, sagte er.
›Nicht mehr?‹
›Nicht mehr.‹
›Dann…‹, sagte ich, ›gibt Ihnen nicht Satan, nicht irgendeine satanische Macht die Autorität, als einer der Vampire oder als deren Anführer?‹
›Nein‹, sagte er ruhig, so ruhig, daß es mir unmöglich war zu wissen, was er von meinen Fragen dachte, wenn er überhaupt so von ihnen dachte, wie ich Denken verstand.
Ich fragte: ›Und die anderen Vampire?‹; und er antwortete: ›Nein.‹
›Dann sind wir also nicht…‹, ich setzte mich auf, ›… die Kinder Satans?‹
›Wie könnten wir die Kinder Satans sein?‹ erwiderte er. ›Glauben Sie, daß Satan die Welt um uns geschaffen hat?‹
Ich sagte: ›Nein, ich glaube, Gott hat sie geschaffen, wenn überhaupt jemand sie geschaffen hat. Aber er muß auch Satan geschaffen haben, und ich möchte wissen, ob wir seine Kinder sind.‹
Und er antwortete: ›Wenn Sie glauben, daß Gott Satan geschaffen hat, dann müssen Sie daraus schließen, daß alle Macht Satans von Gott kommt und daß Satan ganz einfach Gottes Kind ist und daß wir also auch Gottes Kinder sind. Es gibt keine Kinder Satans.‹
Ich konnte meine Gefühle nach diesen Worten nicht verbergen. Ich lehnte mich in den Sessel zurück und betrachtete den Teufel an der Wand, in Gedanken verloren über Armands Worte, über ihre einfache Logik.
›Aber warum betrifft es Sie?‹ fuhr er fort. ›Was ich sage, kann Sie kaum überraschen. Warum berührt es Sie so?‹
›Lassen Sie es mich erklären‹, sagte ich. ›Ich weiß, daß Sie ein Meistervampir sind, und ich habe Hochachtung vor Ihnen. Doch ich kann nicht so wie Sie über den Dingen stehen. Mir fehlt Ihre innere Freiheit; ich sehe sie und weiß, daß ich sie nicht habe, und ich zweifle, daß ich sie je besitzen werde.‹
Er nickte. ›Ich verstehe. Ich sah Sie im Theater, sah Ihr Leiden, Ihr Mitgefühl mit dem Mädchen. Sie sterben, wenn Sie töten, als fühlten Sie, daß Sie verdienen zu sterben; und Sie ersparen sich nichts. Aber warum, mit dieser Leidensfähigkeit und diesem Sinn für Gerechtigkeit, warum wollen Sie sich ein Kind des Satans nennen?‹
›Ich bin böse, böse wie nur je ein Vampir gewesen ist. Ich habe getötet, Hunderte, tausende Male, und werde es immer wieder tun. Ich nahm diesen Jungen, Denis, als Sie ihn mir gegeben haben,
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