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Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir

Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir

Titel: Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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ihm hingezogen und bewegte mich überhaupt nicht, sein Arm preßte mich fest an ihn, die Kerze strahlte in meine Augen, ich konnte ihre Wärme spüren; diese Wärme, nach der sich all mein kaltes Fleisch sehnte, doch auf einmal wollte ich die Flamme ersticken, aber ich konnte sie nicht finden, und alles, was ich sah, war ein strahlendes Gesicht, so strahlend wie ich Lestats Gesicht noch nie gesehen hatte, weiß und bar jeglicher Pore und kraftvoll und männlich. Der andere Vampir. Alle anderen Vampire. Eine endlose Prozession meiner eigenen Art.
    Der Augenblick verflog.
    Ich fand mich mit ausgestrecktem Arm, berührte sein Gesicht; aber er stand von mir entfernt, als sei er niemals näher gekommen, er versuchte auch nicht, meine Hand wegzuschieben. Ich wich zurück, errötet, verblüfft.
    Irgendwo draußen in der Pariser Nacht schlug eine Glocke, die dump fen goldenen Wellen des Klangs schienen die Wände zu durchdringen, die den Ton wie riesige Orgelpfeifen tief in die Erde trugen. Und wieder vernahm ich dieses Flüstern, diesen unverständlichen Gesang. Und in dem Halbdunkel sah ich, wie mich der sterbliche Junge beobachtete, und ich gewahrte den heißen Duft seines Fleisches. Die leichte Hand des Vampirs winkte ihn herbei, und er trat auf mich zu, mit furchtlosem und aufregendem Blick; und er stellte sich im Kerzenschein vor mich hin und legte seine Arme um meine Schultern.
    Nie zuvor hatte ich so etwas erlebt, so etwas empfunden, diese bewußte Preisgabe eines Sterblichen. Doch noch ehe ich ihn von mir wegschieben konnte, um seiner selbst willen, bemerkte ich den bläulichen Fleck an seinem zarten Hals. Er bot ihn mir dar. Er drückte seinen ganzen Körper gegen mich, und ich spürte sein hartes Geschlecht, das sich an mein Bein preßte. Ein jämmerlicher Laut des Erschreckens entfloh meinen Lippen, doch er kam noch näher, sein Mund berührte mich, mich, der ich ihm doch so kalt und leblos erscheinen mußte; und ich grub meine Zähne in seine Haut, mein Körper war starr, sein steifes Geschlechtsteil drückte sich an mich, und ich hob ihn voller Leidenschaft hoch. Welle auf Welle seines pulsierenden Herzens durchdrang mich, während ich ihn in meinen Armen wiegte, wie schwerelos, und ihn verschlang, seine Verzückung, seine Lust.
    Dann, kraftlos und keuchend, sah ich ihn in einiger Entfernung von mir, meine Arme leer, mein Mund noch immer voll vom Geschmack seines Blutes. Er schmiegte sich an den braunhaarigen Vampir, seinen Arm um dessen Hüfte, und starrte mich auf die gleiche ruhige Weise an wie der Vampir, sein Blick schwach und getrübt vom Verlust des Lebens. Dann bin ich auf ihn zugegangen, das weiß ich noch, wurde zu ihm hingezogen, hatte scheinbar jegliche Macht über mich verloren, dieser Blick verhöhnte mich, dieses bewußte Leben widersetzte sich mir; er sollte sterben, und er starb nicht; er würde weiterleben, diese intime Beziehung überdauern! Ich wandte mich ab. Die Schar der Vampire bewegte sich im Schatten, die Flammen ihrer Kerzen tanzten durch die kühle Luft; und über ihnen tauchten schemenhaft Gestalten auf, die an die Decke gezeichnet waren: der schlafende Leichnam einer Frau, entstellt von einem Geier mit Menschengesicht, ein Nackter, mit Händen und Füßen an einen Baum gefesselt, daneben hing der Torso eines anderen Mannes, seine abgetrennten Arme an einen Zweig gebunden, und auf einem Pfahl steckte mit starrem Blick sein Kopf.
    Und wieder vernahm ich dieses Singen, diesen leisen ätherischen Gesang. Der Hunger in mir legte sich allmählich, doch in meinem Kopf hämmerte es, und die Flammen der Kerzen schienen in glänzenden Lichtkreisen zu verschmelzen. Auf einmal berührte mich jemand, stieß mich grob, so daß ich fast das Gleichgewicht verlor, und als ich mich wieder aufrichtete, erkannte ich das schmale, eckige Gesicht des Gaukler-Vampirs, den ich verachtete. Er griff nach mir mit seinen bleichen Händen. Doch der andere, der abseits stand, trat plötzlich nach vorne und stellte sich zwischen uns. Er schien dem anderen Vampir einen Schlag zu versetzen, ich sah, wie er sich bewegte, und doch sah ich es wieder nicht; beide standen sich reglos wie Statuen gegenüber und ließen einander nicht aus den Augen, die Zeit verging wie die Brandung, die sich Welle nach Welle von friedlichen Gestaden zurückzog. Wie lange wir drei so verharrten, kann ich nicht sagen, und wie unbeweglich mir alles vorkam, Leben schien sich nur hinter den schimmernden Flammen zu verbergen! Dann erinnere ich

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