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Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir

Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir

Titel: Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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meinen eigenen Zorn, meine eigene Verzweiflung. ›Wir stehen hier, wir beide, unsterblich, alterslos; wir erheben uns jede Nacht, um diese Unsterblichkeit mit Menschenblut zu nähren; und dort, alterslos, sitzt ein makelloses Kind, ebenso teuflisch wie wir - und Sie fragen mich, wie ich an die Bedeutung des Übernatürlichen glauben könnte! Ich sage Ihnen: Nachdem ich gesehen habe, was ich geworden bin, könnte ich da nicht alles glauben? Und Sie nicht etwa auch? Und unter dem Fluch dieses Glaubens soll ich nun die allerphantastischste Wahrheit hinnehmen: daß in keinem von allem eine Bedeutung liegt!‹
    Ich trat zur Tür und ließ ihn stehen mit seinem überraschten Gesicht, die Hand vor den Mund gelegt, die Nägel in die Handfläche gegraben. ›Nicht so…‹, flüsterte er. ›Kommen Sie zurück!‹
    ›Nein, nicht jetzt!‹ rief ich. »Lassen Sie mich gehen. Nichts hat sich geändert; alles ist das gleiche geblieben. Ich will es mir einprägen… aber jetzt lassen Sie mich gehen.‹
    Bevor ich die Tür schloß, blickte ich zurück. Claudia war unverändert sitzen geblieben, die Hände auf den Knien gefaltet, doch ihr Gesicht war mir zugewandt. Und mit einer fast unmerklichen Geste, so fein wie ihr ein wenig trauriges Lächeln, bedeutete sie mir, ich solle mich nicht zurückhalten lassen.
    Es drängte mich aus dem Theater; ich wollte durch die Straßen von Paris wandern und nach und nach wieder zur Besinnung kommen. Doch in den langen Kellergängen geriet ich in Verwirrung. Vielleicht war ich unfähig, nach eigenem Willen zu handeln. Mir fiel Lestat ein, und es schien mir mehr als je absurd, daß er gestorben sein sollte, und als ich an ihn, wie so oft, zurückdachte, sah ich ihn mit freundlicheren Augen als sonst. Verloren wie wir alle, nicht als den eifersüchtigen Hüter von Geheimnissen, die er preiszugeben fürchtete. Er wußte nichts; es gab nichts zu wissen.
    Das war allerdings nicht ganz der Gedanke, der sich in mir formte. Ich hatte Lestat aus den falschen Gründen gehaßt; ja, soviel war richtig. Aber ich verstand es noch nicht ganz. Schließlich setzte ich mich auf die dunklen Kellerstufen, das Licht des Ballsaales warf meinen eigenen Schatten auf den unebenen Boden, ich hielt meinen Kopf in den Händen, von Müdigkeit übermannt. Mein Geist sagte: schlafe! Und mein Herz sagte: träume! Doch ich machte keine Anstalten, ins Hotel SaintGabriel zurückzukehren, der Stätte des luxuriösen Komforts, wo ich mich in einen Samtsessel zurücklehnen konnte, einen Fuß auf eine Ottomane gelegt, und dem Feuer in dem Marmorkamin zuschauen und mich in den hohen Spiegeln betrachten wie ein gedankenversunkener Sterblicher. Flüchte dich dorthin, dachte ich, flüchte dich vor allem, was dich quält. Und wieder kam mir der Gedanke: Ich habe Lestat Unrecht getan, ich habe ihn aus falschen Gründen gehaßt. Ich flüsterte es vor mich hin, versuchte es aus dem dunklen, formlosen Teich meines Gedächtnisses zu ziehen, und mein Flüstern verfing sich in den Kellergewölben.
    Und dann drang eine Stimme an mein Ohr, zu leise für einen Sterblichen: ›Wie ging es zu? Wieso taten Sie ihm Unrecht?‹
    Ich wandte mich so heftig um, daß mir der Atem stockte. Ein Vampir saß über mir auf der Treppe, so nahe, daß seine Schuhspitze fast meine Schulter berührte, die Beine angezogen, die Hände um die Knie gelegt. Ich traute meinen Augen nicht. Es war der Vampir, den Armand Santiago genannt hatte. Doch nichts erinnerte an sein früheres Selbst, die teuflische, hassenswerte Kreatur, die mich vor wenigen Stunden überfallen hatte und von Armand zurechtgewiesen worden war. Er starrte auf mich hinunter, das Haar zerzaust, der Mund schlaff und ohne Arglist.
    ›Das ist für einen anderen ohne Bedeutung‹, sagte ich, und ich spürte, wie meine Furcht nachließ.
    ›Aber Sie nannten einen Namen; ich hörte, wie Sie einen Namen nannten, erwiderte er.
    ›Einen Namen, den ich nicht noch einmal aussprechen möchte‹, sagte ich und blickte beiseite. Jetzt konnte ich sehen, wie er mich genant hatte, warum sein Schatten nicht über mich gefallen war - er hatte in meinem Schatten gehockt. Der Gedanke, daß er die Treppe heruntergekommen war, um sich hinter mich zu setzen, war beunruhigend; alles an ihm war beunruhigend; und ich rief mir ins Gedächtnis zurück, daß man ihm nicht trauen konnte. Mir schien, daß Armand mit seiner hypnotischen Kraft um die höchste Wahrheit bemüht war, als er sich präsentierte; er hatte mich ohne viel

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