Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir
›Ich bin zu klein, zu schwache fuhr sie fort. ›Dafür hast du gesorgt, als du mich geschaffen hast. Tu es!‹
Ich entzog mich ihr und befühlte mein Handgelenk, als hätte sie es verbrannt; ich sah die Tür, und es schien mir das beste, wieder fortzugehen. Ich konnte Claudias Stärke, ihren eisernen Willen spüren, und die Augen dieser sterblichen Frau schienen von dem gleichen Willen entflammt. Doch Claudia hielt mich nicht durch sanftes Flehen oder schändliche Schmeicheleien, die diese Macht vertrieben hätten, und ich empfand Mitleid für sie, während ich meine eigenen Kräfte sammelte. Sie hielt mich durch das Gefühl, das ihre Augen selbst noch durch die Kälte ausstrahlten, und durch die Art, wie sie sich nun von mir abwandte, beinahe so, als sei sie auf der Stelle besiegt worden. Jetzt lehnte Claudia sich auf dem Bett zurück; ich wollte mich ihr nahem, sie streicheln und ihr sagen, was sie verlange, sei unmöglich; ich wollte das Feuer dämpfen, das sie von innen zu verzehren schien. Doch ich unterließ es.
Die Frau hatte sich in einen Sessel am Kamin gesetzt; und das Rascheln und Schillern ihres Taftkleides erhöhte das Geheimnisvolle ihrer Erscheinung, ihrer leidenschaftslosen Augen, die uns beobachteten, des blassen, doch fiebrigen Gesichtes. Ich weiß noch, wie mich ihr kindlicher Schmollmund in dem zarten Gesicht reizte. Der Vampirkuß hatte außer den kleinen Wundmalen keine Spuren hinterlassen, keine Veränderungen der hellrosigen Haut bewirkt. Ich fragte sie: ›Wie erscheinen wir Ihnen?‹, als ich ihre Augen auf Claudia gerichtet sah. Sie schien seltsam von der zwergenhaften Schönheit erregt, in der die Leidenschaft einer erwachsenen Frau steckte.
Jetzt blickte sie mich an, und ich wiederholte: »Ich frage Sie - wie erscheinen wir Ihnen? Finden Sie uns schön oder magisch, unsere weiße Haut, unsere flammenden Augen? Oh, ich erinnere mich genau, wie Sterbliche zu sehen pflegten - wie durch einen Schleier, und wie des Vampirs Schönheit durch diesen Schleier brach, so übermächtig, verführerisch und betrügerisch. Trink, sagen Sie zu mir. Sie haben nicht die geringste Vorstellung von dem, was Sie verlangen‹
Claudia stand auf und trat auf mich zu. ›Was unterstehst du dich?‹ flüsterte sie. ›Wie kannst du diese Entscheidung für uns beide treffen! Wie ich dich verachte! Weißt du, daß ich dich verabscheue - mit einer Wut, die in mir frißt wie ein Geschwür!‹ Ihr kleiner Leib zitterte, ihre Hände flatterten. ›Schau nicht beiseite wie ein geprügelter Hund! Mir wird sterbensübel von deiner Wehleidigkeit. Nichts verstehst du, nichts. Das Schlimme an dir ist, daß du nicht schlimm sein kannst, und ich muß darunter leiden. Ich will aber nicht mehr leiden, verstehst du?‹ Ihre Nägel gruben sich in mein Handgelenk, ich riß mich los und wich zurück. Aus ihren Augen sprang der blanke Haß, wie ein Raubtier, das lange geschlafen hat. ›Ihr habt mich aus dem sterblichen Leben gerissen wie zwei Ungeheuer in einem Schauerroman, ihr eitlen, blinden Eltern! Vater!‹ Sie spie das Wort aus wie einen abscheulichen Bissen. Jetzt kannst du Tränen vergießen. Aber es gibt nicht genug Tränen für das, was du mir angetan hast. Noch sechs sterbliche Jahre, sieben oder acht… und ich könnte diese Gestalt haben.‹ Sie zeigte auf Madeleine, die ihr Gesicht in den Händen vergrub. Ihr Stöhnen klang fast wie Claudias Namen. Doch Claudia hörte sie nicht. ›Ja, diese Figur! Ihr Ungeheuer! Mir Unsterblichkeit zu geben in diesem jämmerlichen Gebilden Tränen standen in ihren Augen. Die Worte waren erstorben in ihrer Brust.
Jetzt gib sie min, sagte sie und senkte ihren Kopf, so daß ihr Haar wie ein Schleier vor das Gesicht fiel. ›Ja, gib sie mir! Wenn du es nicht tust, dann führe zu Ende, was du damals in New Orleans mit mir begonnen hast. Ich will mit diesem Haß nicht mehr leben, nicht mit diesem Zorn. Ich kann es nicht länger ertragene Sie legte die Hände an die Ohren, als könne sie ihre eigenen Worte nicht hören, während ihr die Tränen über die Wangen liefen.
Ich wollte vor ihr auf die Knie sinken, um sie zu umfassen; doch ich wagte nicht, sie zu berühren, nicht einmal ihren Namen zu flüstern, damit nicht mit der ersten Silbe mein eigener Schmerz in verzweifelten, unartikulierten Schreien aus mir herausbräche. Sie schüttelte den Kopf und biß die Zähne zusammen. ›Ich liebe dich noch, das ist das Quälende. Lestat habe ich nie geliebt. Aber dich! Mein Haß ist so groß
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