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Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir

Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir

Titel: Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Vampirruhe, als wäre er tatsächlich ohne Leben. Der Augenblick dehnte sich. Ich hörte seine Worte, als wiederhole er sie: ›Ich will hier nichts weiter als ein wenig Platz, ein wenig Frieden‹; und ich empfand ein so starkes Sehnen nach ihm, daß es meine ganze Kraft erforderte, es niederzukämpfen. Mein Wunsch war, Claudia möge unter diesen Vampiren sicher sein, keines Verbrechens schuldig, das man bei ihr oder einem anderen entdecken könnte, so daß auch ich frei wäre, um in dieser Klause zu bleiben, solange ich wollte.
    Und ich sah wieder den Menschenknaben, der jetzt friedlich schlief, die Arme um Armands Hals legen, ein Bild der Liebe für mich, ein Abbild der Liebe, die ich selber fühlte. Keine physische Liebe, mußt du verstehen, das meine ich nicht, obwohl Armand von einer natürlichen Schönheit war und seine Umarmung nicht abstoßend gewesen wäre. Für Vampire ist der Höhepunkt und die Befriedigung der physischen Liebe nur eines - das Töten. Es war eine andere Art der Liebe, die mich zu ihm zog, die Liebe des Schülers zu einem Lehrer, der Lestat nie gewesen war. Armand würde mir sein Wissen nicht vorenthalten, dessen war ich sicher. Es würde durch ihn hindurchgehen wie das Licht durch eine Glasscheibe, so daß ich mich darin baden könnte, es in mich aufnehmen und daran wachsen. Ich schloß die Augen und glaubte ihn sprechen zu hören, wie wenn er sagte: ›Wissen Sie, warum ich hier bin?‹
    Ich schaute wieder zu ihm auf, ungewiß, ob er meine Gedanken lesen könne. Jetzt, nach diesen vielen Jahren, konnte ich Lestat verzeihen, daß er nur ein ganz gewöhnliches Geschöpf gewesen war, unfähig, mir das Ausmaß meiner Kräfte zu zeigen; und dennoch verlangte mich widerstandslos danach. Darüber lag eine große Traurigkeit, über meine Schwäche und über mein schreckliches Dilemma. Claudia wartete auf mich, Claudia, meine Tochter und meine Geliebte.
    ›Was soll ich tun?‹ flüsterte ich. ›Von denen da fortgehen, von Ihnen fortgehen? Nach all den Jahren…‹
    Er erwiderte: ›Jene sind für Sie ohne Belang.‹
    Ich lächelte und nickte.
    ›Was wollen Sie tun?‹ fragte er in dem sanftesten, teilnahmsvollsten Ton.
    ›Wissen Sie es nicht, haben Sie diese Kraft nicht?‹ fragte ich. ›Können Sie nicht in meinen Gedanken lesen, als seien es Worte?‹
    Er schüttelte den Kopf. ›Nicht so, wie Sie es meinen. Ich weiß nur, daß Ihnen und dem Kind wirkliche Gefahr droht. Und ich weiß, daß Ihre Einsamkeit, sogar mit der liebe dieses Kindes, fast grausamer ist, als Sie es ertragen können.‹
    Da stand ich auf. Das Einfachste von der Welt, sollte man denken, aufzustehen, zur Tür zu gehen und schnell hinauszueilen, den Korridor hinunter; aber es erforderte meine ganze Kraft.
    ›Ich bitte Sie, uns die anderen fernzuhalten‹, sagte ich, schon an der Tür; doch ich konnte ihn nicht noch einmal ansehen, wollte nicht noch einmal seine sanfte Stimme hören.
    ›Gehen Sie nicht‹, sagte er.
    ›Mir bleibt keine Wahl‹, erwiderte ich.
    Ich war schon auf dem Gang, als er so plötzlich neben mir stand, daß ich erschrak. Er drückte mir einen Schlüssel in die Hand, sagte: ›Dort ist eine Tür‹, und zeigte in das dunkle Ende des Ganges hinein, wo ich nur Wand vermutet hatte. ›Und es führt eine Treppe, die nur ich benutze, in eine Seitenstraße. Nehmen Sie diesen Weg, dann begegnet Ihnen niemand. Sie haben Angst, und man würde es merken.‹
    Ich wandte mich zum Gehen, obwohl ich mit jeder Faser meines Wesens lieber geblieben wäre. ›Lassen Sie mich Ihnen noch eins sagen‹, fuhr er fort und legte mir ganz leicht die Hand aufs Herz. ›Gebrauchen Sie die Kraft, die Sie in sich tragen! Schrecken Sie nicht mehr davor zurück! Gebrauchen Sie die Kraft! Und wenn man Sie oben auf der Straße sieht, benutzen Sie diese Kraft, um aus Ihrem Gesicht eine Maske zu machen, blicken Sie die anderen an wie jedermann sonst und denken Sie: Nimm dich in acht! Tragen Sie das Wort bei sich, als wäre es ein Amulett, das ich Ihnen gegeben habe. Und wenn Ihre Augen denen Santiagos begegnen, oder eines anderen Vampirs - sprechen Sie höflich mit ihnen über was Sie wollen, aber denken Sie an das Wort und nur an dieses Wort. Vergessen Sie nicht, was ich sage. Ich spreche in einfachen Worten zu Ihnen, weil Sie das Einfache achten. Verstehen Sie; das ist Ihre Stärke.‹
    Ich nahm den Schlüssel, und ich weiß nicht mehr, wie ich die Tür aufschloß und die Treppe hinaufging. Oder wo er war, oder was er getan

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