Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir
einem heftig treibenden Wind aufzulösen schien, rief etwas nach mir, etwas Unbeseeltes, das mir fremd war. Und eine Macht in mir schien dieser Macht draußen zu antworten, nicht widerstrebend, sondern mit einer rätselhaften, eisigen Kraft.
Ich öffnete die Tür zum Nebenzimmer und sah die schlafende Frau auf der Chaiselongue, die Puppe an die Brust gedrückt. Sie öffnete die Augen, und hinter mir im Halbdunkel konnte ich die anderen Augen spüren, die mich belauerten.
Ich fragte: ›Willst du für sie sorgen. Madeleine?‹ Ihre Hände umklammerten die Puppe, und unwillkürlich griff auch ich danach, ich wußte nicht warum.
Sie erwiderte: ›Ja!‹
›Glaubst du, daß sie das ist - eine Puppe?‹ fragte ich weiter und schloß meine Hand um den Kopf der Puppe. Madeleine entriß sie mir und sah mich haßerfüllt an.
›Ein Kind, das nicht sterben kann, das ist sie‹, sagte sie, und sie sprach es wie einen Fluch aus. Dann fuhr sie fort: ›Ich habe genug von Puppen…‹, und schob das Spielzeug beiseite und fingerte an ihrer Brust herum, als wolle sie mir etwas zeigen und auch wieder nicht; ich wußte, was es war, hatte es schon vorher bemerkt. Ein Medaillon, eine Brosche, mit einer goldenen Nadel befestigt. Ich wünschte, ich könnte die Gefühlsregung beschreiben, die ihre weichen Züge befiel, die ihren süßen Kindermund entstellte.
»Und das Kind, das gestorben ist?‹ fragte ich aufs Geratewohl. Ich sah im Geist einen Puppenladen, alle Puppen mit den gleichen Gesichtern. Sie schüttelte den Kopf, zog ungeduldig an dem Medaillon; Angst lag in ihren Augen, panische Angst. Ihre Hand blutete, sie hatte sich mit der Nadel gestochen. Ich nahm ihr das Medaillon ab. ›Meine Tochter‹. flüsterte sie mit zitternden Lippen.
Es war ein Puppengesicht auf dem kleinen Stück Porzellan, Claudias Gesicht, doch es war eine süßliche Parodie der Unschuld, die der Künstler gemalt hatte, ein Kind mit rabenschwarzem Haar wie die Puppe. Und die Mutter starrte verschreckt ins Dunkel.
›Kummer…‹, sagte ich sanft.
›Ich habe genug von Kummen, sagte sie, und ihre Augen zogen sich zusammen, als sie mich ansah. ›Wenn Sie wüßten, wie ich mich danach sehne. Ihre Kraft zu haben - ich bin dazu bereit, ich lechze danach!‹ Und sie atmete so tief, daß ihre Brust unter dem Kleid zu schwellen schien. Eine maßlose Enttäuschung malte sich auf ihrem Gesicht. Sie wandte sich von mir ab, schüttelte ihren Kopf, ihre Locken. ›Wenn Sie ein Sterblicher wären, ein Mensch und ein Ungeheuer, sagte sie. ›Wenn ich Ihnen nur zeigen könnte, was ich vermag…‹ Und sie versuchte, herausfordernd zu lächeln. ›… Ich könnte Sie dazu bringen, mich zu begehren! Aber Sie sind unnatürliche Sie verzog den Mund. ›Was kann ich Ihnen geben? Was kann ich tun, damit Sie mir geben, was Sie haben?‹
Ihre Hand strich über ihre Brüste, schien sie zu streicheln wie die Hand eines Mannes.
Seltsamer Augenblick; seltsam, weil ich nicht das Gefühl hätte voraussagen können, das ihre Worte in mir erregten oder der Anblick dieser schmalen Taille, der vollen Rundung ihrer Brüste oder des zarten Schmollmundes. Sie konnte nicht ahnen, wie der sterbliche Mann in mir beschaffen war, wie mich das Blut quälte, das ich gerade getrunken hatte. Ich begehrte sie mehr, als sie wußte, denn sie verstand nicht das Wesen des Tötens. Und mit dem Stolz des Mannes wollte ich es ihr beweisen, sie demütigen für das, was sie zu mir gesagt hatte, für die billige Eitelkeit ihrer Herausforderung und der Augen, die jetzt voller Abscheu von mir wegblickten. Aber das war Wahnsinn. Das waren keine Gründe, ihr ewiges Leben zu geben. Und es lag Grausamkeit in meiner Frage:
›Hast du dieses Kind geliebt?‹
Nie werde ich ihr Gesicht vergessen, den hemmungslosen, ungestümen Haß. ›Ja!‹ zischte sie mich an. ›Wie können Sie es wagen!‹ Und griff nach dem Medaillon. Es war Schuldgefühl, das sie verzehrte, nicht Liebe. Schuldgefühl - jener Puppenladen, den Claudia mir beschrieben hatte - viele Regale voller Nachbildungen des toten Kindes. Aber ein Schuldgefühl, das durchaus die Endgültigkeit des Todes begriff. Es war etwas in ihr, ebenso drückend wie das Böse in mir, ebenso übermächtig. Jetzt streckte sie die Hand nach mir aus und berührte meine Brust. Und ich lag auf den Knien, zog sie an mich, und ihr Haar streifte mein Gesicht.
›Halte dich ganz fest an mich, wenn ich dich nehme‹, sagte ich, während ihre Augen sich weiteten, ihr Mund
Weitere Kostenlose Bücher