Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir
mit den Augen ansehen, die ihn begehren.‹
›Hör auf, hör auf…‹, bat ich. ›Ich werde dich nicht verlassen. Ich habe es dir geschworen, verstehst du nicht? Ich kann dir nicht diese Frau geben.‹
Sie sagte: ›Aber ich kämpfe um mein Leben! Gib sie mir, damit sie für mich sorgen kann, mache die Maskerade vollständig, die ich zum Leben brauche. Dann kann er dich haben. Ich kämpfe um mein Leben!‹
Fast hätte ich sie von mir geschoben. ›Nein, nein, es ist Wahnsinn, es geht nicht mit rechten Dingen zu‹, sagt e ich in dem Versuch, ihr Widerstand entgegenzusetzen. ›Du bist es, die nicht teilen will, du bist es, die jeden Funken dieser Liebe will. Wenn nicht von mir, dann von ihr. Er ist stärker als du, er mißachtet dich, und du bist es, die ihn tot will, so wie du Lestat umgebracht hast. Nun, du wirst mich nicht dabeihaben, sage ich dir, bei diesem Tod nicht! Und ich will nicht aus Madeleine eine von uns machen, will nicht, daß auch von ihren Händen Legionen sterben. Deine Macht über mich ist gebrochen. Ich will nicht!‹
Ach, wenn sie doch nur verstanden hätte! Nicht einen Augenblick konnte ich glauben, was sie gegen Armand sagte, daß er aus seiner Entrücktheit, die jenseits von Rache war, eigensüchtig ihren Tod wünschen könnte. Aber das bedeutete mir jetzt wenig; etwas weitaus Schlimmeres, schrecklicher, als ich begreifen konnte, zog herauf, etwas, das zu verstehen ich gerade erst anfing, etwas, gegen das mein ganzer Unmut nur eine Farce war, ein sinnloser Versuch, mich gegen ihren unbeugsamen Willen aufzulehnen. Sie haßte mich, verabscheute mich, wie sie selber bekannt hatte, und mein Herz zog sich zusammen; denn es wäre ein tödlicher Schlag gewesen, wenn sie mich dieser Liebe beraubt hätte, die mich mein Leben lang aufrechterhalten hatte. Ich verschmachtete nach ihr, verschmachtete nach ihrer Liebe, so wie in jener allerersten Nacht, als Lestat sie mir gab, sie mich anblicken ließ und ihr meinen Namen nannte; jene Liebe, die mir in meinem Selbsthaß das Herz erwärmt und mir zu existieren ermöglicht hatte. Lestat hatte das nur zu gut verstanden; und nun war sein Plan zunichte gemacht. Doch das andere, weitaus Schrecklichere, lag dahinter, in einer Region, vor der ich zurückschrak:
Es war ihr Leid. Claudia hatte mir ihr Leid offenbart: mir Unsterblichkeit zu gehen in diesem jämmerlichen Gebilde. Ich legte die Hände auf die Ohren, als spräche sie jetzt diese Worte, und die Tränen flössen. In all den Jahren hatte ich mich ganz auf ihre Gefühllosigkeit verlassen, ihre vermeintliche Unfähigkeit zu leiden. Und was sie jetzt zeigte, war Leid, unleugbares Leid. Oh, wie hätte Lestat uns ausgelacht! Deshalb hatte sie das Messer gegen ihn erhoben - weil er gelacht hätte. Sie brauchte mir nur dieses Leid zu zeigen, um mich ganz und gar zu zerstören. Das Kind litt, das Kind, aus dem ich einen Vampir gemacht hatte. Ihre Qual war wie meine eigene Qual.
Claudia hatte mich mit meinen Gedanken allein gelassen, den Gedanken, mit denen ich nicht fertig werden konnte. Was an diesem Abend zwischen uns vorgefallen war, konnte nicht rückgängig gemacht werden, und was ich Claudia angetan hatte, niemals ungeschehen.
Doch irgendwie, zu meinem eigenen Erstaunen, empfand ich fast keine Reue. Vielleicht war es die Nacht, der sternenlose Himmel, der feine Regen, der Duft der Blüten, die sich langsam von ihren Zweigen lösten und den kleinen Balkon bedeckten - als ich mich an das offene Fenster lehnte, empfand ich einen seltsamen Trost, den ich nicht gesucht hatte und nicht recht zu empfangen wußte. Ich bin allein, dachte ich, ich bin allein. Es schien mir gerecht, ganz und gar, unvermeidlich und beinahe wohltuend. Und ich malte mir aus, für immer allein zu sein, wie damals in der Nacht meines Todes, als ich die Kraft des Vampirs empfing, als ich Lestat verließ, ohne zurückzublicken, ihn nicht mehr brauchte und auch sonst keinen. Als ob die Nacht zu mir gesagt hätte: ›Du bist die Nacht, und die Nacht allein versteht dich und schließt dich in ihre Arme.‹ Eins mit den Schatten. Ohne Alptraum. Ein unaussprechlicher Frieden.
Aber ich konnte das Ende dieses Friedens fühlen, so sicher wie ich die kurze Hingabe an ihn gefühlt hatte, und es brach auf mich nieder wie ein Wolkenbruch. Der stechende Schmerz über den Verlust Claudias bedrückte mich, war um mich wie ein Gespenst aus den Ecken dieses mir seltsam fremd gewordenen Zimmers. Doch draußen, auch noch als sich die sanfte Nacht in
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