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Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir

Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir

Titel: Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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der Vampir und legte seine Hände wieder auf die übereinandergeschlagenen Knie. »Ich habe mich so schnell vorgebeugt, daß du es nicht sehen konntest. Es war eine Sinnestäuschung.«
    »Sie haben sich vorgebeugt? Aber nein. Sie haben gesessen, so wie Sie jetzt sitzen, mit dem Rücken an der Stuhllehne.«
    »Nein«, erwiderte der Vampir bestimmt, »ich habe mich vorgebeugt, wie ich dir sagte. Paß auf, ich tue es noch einmal.« Und er wiederholte es, und der Junge starrte ihn mit der gleichen Mischung von Bestürzung und Furcht an. »Du hast es immer noch nicht gesehen«, sagte der Vampir. »Aber, siehst du, wenn du meinen ausgestreckten Arm betrachtest, ist er wirklich nicht so besonders lang.« Und er hob den Arm und wies mit dem Zeigefinger nach oben, als wäre er ein Engel, der Gottes Wort verkündet. »Du hast soeben einen grundlegenden Unterschied erfahren zwischen der Art, wie du siehst, und der, wie ich sehe. Mir erschien die Bewegung, die ich machte, langsam und ein wenig schlaff. Und das Geräusch, das mein Finger machte, als er deinen Rockaufschlag berührte, war deutlich zu hören. Nun, ich wollte dich nicht erschrecken, glaube mir. Aber vielleicht kannst du daraus sehen, daß meine Rückfahrt nach Pointe du Lac ein Fest für die Sinne war, voller neuer Erlebnisse - schon das Wiegen eines Zweiges im Wind war ein Vergnügen.«
    »Ja«, sagte der Junge, doch sichtlich noch erschüttert. Der Vampir sah ihn einen Augenblick an und sagte dann: »Ich wollte dir gerade erzählen…«
    »Wie Sie zum ersten Mal töteten«, ergänzte der Junge.
    »Ja. Doch sollte ich vorausschicken, daß die Plantage in einem chaotischen Zustand war. Man hatte die Leiche des Aufsehers entdeckt und den blinden, alten Mann im Schlafzimmer des Hausherrn. Niemand konnte sich erklären, wie er dahin gekommen war. Und keiner hatte mich in New Orleans finden können. Meine Schwester hatte die Polizei verständigt, und einige Beamte erwarteten mich in Pointe du Lac. Es war natürlich schon ziemlich dunkel, und Lestat erläuterte mir schnell, ich solle mich, besonders in dem gegenwärtig außergewöhnlichen Zustand meines Körpers, nicht von der Polizei sehen lassen, auch nicht beim geringsten Lichtschimmer; und so sprach ich mit ihnen in der Eichenallee vor dem Haus und überhörte ihre Aufforderungen, mit ihnen hineinzugehen. Ich erklärte, ich sei die vorige Nacht in Pointe du Lac gewesen, und der blinde Alte sei mein Gast. Was den Aufseher betraf, so sei er an dem Abend in Geschäften nach New Orleans gefahren.
    Nachdem dies erledigt war, wobei mir vorzüglich zustatten kam, daß ich jetzt über den Dingen stand, blieb das Problem der Plantage selber. Meine Sklaven waren völlig durcheinander, und den ganzen Tag war nicht gearbeitet worden. Wir hatten damals einen großen Betrieb zur Anfertigung von Indigofarbe, der unter der Leitung des Aufsehers gestanden hatte. Er war mir unentbehrlich erschienen, obwohl ich einige äußerst intelligente Sklaven besaß, die seine Arbeit längst hätten übernehmen können, wenn ich ihre Intelligenz erkannt hätte und nicht vor ihrem afrikanischen Aussehen und Gehabe zurückgeschreckt wäre. Jetzt prüfte ich sie genau, übergab ihnen die Leitung des Betriebes und versprach dem Besten das Haus des bisherigen Aufsehers. Zwei junge Frauen wurden vom Feld ins Haus geholt, damit sie sich um Lestats Vater kümmerten, und ich sagte ihnen, ich dürfe auf keinen Fall gestört werden, und ich würde sie extra belohnen, wenn sie mich und Lestat völlig in Ruhe ließen. Damals erkannte ich nicht, daß diese Sklaven als erste - und vielleicht als einzige - argwöhnten, daß Lestat und ich keine natürlichen Geschöpfe waren; ich wußte nicht, daß sie im Umgang mit dem Übernatürlichen viel erfahrener waren als Weiße. In meiner eigenen Unerfahrenheit hielt ich sie immer noch für kindhafte Wilde, von der Sklaverei kaum gezähmt. Das war ein grober Fehler. Aber ich will in meiner Geschichte fortfahren. Ich war dabei, dir zu erzählen, wie ich zum ersten Mal tötete… Lestat hat es mit dem ihm eigenen Mangel an Vernunft verpfuscht.«
    »Verpfuscht?« fragte der Junge.
    »Ich hätte nicht mit Menschen beginnen sollen. Aber das mußte ich allein lernen. Nachdem wir die Sache mit der Polizei und den Sklaven in Ordnung gebracht hatten, trieb Lestat uns Hals über Kopf ins Moor. Es war sehr spät, die Hütten der Sklaven lagen im Dunkel, und bald sahen wir die Lichter von Pointe du Lac nicht mehr. Ich wurde sehr

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