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Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir

Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir

Titel: Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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gelähmt gehorchte ich, kniete neben dem sich wehrenden Mann und schlug, beide Hände fest auf seine Schultern gepreßt, die Zähne in seinen Hals. Meine Zähne waren noch nicht ganz die eines Vampirs, und ich mußte sein Fleisch zerreißen, statt es zu durchbohren; doch als erst die Wunde gerissen war, floß das Blut. Und als es geschah, als ich darin versunken war und trank, nichts als trank…
    da verschwand alles andere.
    Lestat und das Moor und der Lärm des nahen Lagers bedeuteten mir nichts mehr. Lestat hätte ein Insekt sein können, summend, aufleuchtend und wieder verlöschend. Das Blutsaugen hypnotisierte mich; das warme Aufzucken des Mannes beruhigte meine verkrampften Hände; und dann hörte ich wieder die Trommel dröhnen, den Herzschlag des Mannes, doch diesmal schlug es im Einklang mit dem Trommelschlag meines eigenen Herzens, und beide erklangen in jeder Faser meines Wesens, bis der Schlag langsamer und langsamer wurde, bis es nur noch ein sanftes Grollen war, das kein Ende zu nehmen schien. Ich wurde schläfrig und fühlte mich gewichtslos, bis Lestat mich rüttelte. »Er ist tot, du Idiot‹, sagte er mit dem ihm eigenen Charme und Takt. ›Man trinkt nicht mehr, sobald sie tot sind. Merke dir das!‹ Ich war einen Augenblick außer mir und beteuerte, des Mannes Herz schlüge noch, und klammerte mich wie in Todesverzweiflung wieder an ihn. Ich befühlte seine Brust und griff nach seinen Handgelenken und hätte mich in seine Adern verbissen, wenn nicht Lestat mich wieder auf die Füße gestellt und mir ins Gesicht geschlagen hätte. Dieser Schlag war erstaunlich; er tat nicht weh, nicht im gewöhnlichen Sinne, es war ein aufregender Schock anderer Art, eine Entrückung der Sinne, so daß ich mich verwirrt herumwarf und hilflos in die Nacht starrte, die wie ein Insektenschwarm in meinen Ohren summte. ›Du wirst sterben, wenn du das tust‹, sagte Lestat. »Er zieht dich in den Tod, wenn du dich an den Toten klammerst. Du hast schon zuviel getrunken, dir wird übel werden.‹ Seine Stimme tat mir in den Ohren weh; ich hätte mich am liebsten auf ihn geworfen, doch er hatte recht: Ich fühlte einen mahlenden Schmerz im Magen, als zöge ein Strudel an meinen Eingeweiden. Es war das fremde Blut, das zu schnell in mein eigenes floß, aber das wußte ich damals noch nicht. Lestat bewegte sich jetzt durch die Nacht wie eine Katze, und ich folgte ihm, mit dröhnendem Kopf und schmerzendem Magen.
    Als wir im Salon von Pointe du Lac waren, legte sich Lestat eine Patience auf der polierten Tischplatte, und ich sah ihm mit Verachtung zu. Er murmelte unsinniges Zeug: Ich würde mich an das Töten gewöhnen, sagte er, es sei eine Kleinigkeit; ich dürfe mich nur nicht erschüttern lassen, noch zu sehr sei ich im irdischen Wirrwarr befangen, doch schnell genug würde ich mit dem Ablauf der Dinge vertraut sein. ›Glaubst du wirkliche fragte ich, doch seine Antwort interessierte mich kaum. Jetzt verstand ich den Unterschied zwischen ihm und mir. Für mich war das Erlebnis des Tötens ein völliger Umsturz, so wie es gewesen war, als ich an Lestats Adern saugte. Diese Erlebnisse überwältigten mich und veränderten die Anschauung der Dinge um mich derart - vom Bilde meines Bruders an der Wand bis zu dem Anblick eines einzelnen Sternes durch die oberste Scheibe des hohen Glasfensters -, daß ich mir nicht vorstellen konnte, ein anderer Vampir hielte das alles für selbstverständlich. Ich hatte mich gewandelt, für immer; ich wußte es. Und was ich fühlte, zutiefst fühlte, für alles, sogar für das Rascheln der Spielkarten, als sie aufeinandergelegt wurden, war Achtung. Lestat empfand das Gegenteil, wenn er überhaupt etwas empfand; er war aus zu grobem Stoff, als daß je etwas Feines aus ihm hätte werden können. Langweilig, trivial und mißmutig wie irgendein Sterblicher, schwatzte er über unsere ›Jagd‹, schmälerte er mein Erlebnis, verschlossen gegen jede andere Erfahrung außer seiner eigenen. Gegen Morgen erkannte ich, daß ich ihm völlig überlegen war und schmählich betrogen, ihn als Lehrer zu haben. Er mußte mir die notwendigen Lektionen erteilen, wenn es noch etwas zu lernen gab, und ich mußte in ihm eine Geistesverfassung tolerieren, die dem Leben gegenüber blasphemisch war. Er ließ mich kalt; ich hatte keine Verachtung für ihn, sondern nur Hunger nach einem neuen Erlebnis, das schön und ebenso niederschmetternd war wie mein erster Mord. Und ich sah, daß ich beim Lernen meine eigenen

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