Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir
sich öffnete. ›Und wenn dir die Sinne schwinden, dann lausche desto stärker auf meinen Herzschlag. Halte dich fest an mich und sage immer wieder: Ich will leben!‹
›Ja, ja‹, sagte sie, und ihr Herz klopfte laut. Ihre Hände brannten auf meinem Nacken, ihre Finger bohrten sich zwischen Hals und Kragen. Ich sagte: ›Schau über mich hinweg in das Licht dort, wende die Augen nicht davon ab, nicht eine Sekunde, und sprich immer wieder: Ich will leben!‹
Sie atmete schwer, als ich das Fleisch aufbrach und der warme Strom in mich floß. Ihre Brüste drückten gegen mich, ihr Leib war willenlos aufgebäumt. Und ich konnte sogar mit geschlossenen Augen ihre Augen sehen und den herausfordernden Mund. Dann fühlte ich, wie sie erschlaffte und die Hände an den Seiten fallen ließ. »Fest, fest‹, flüsterte ich über dem heißen Strom ihres Blutes, von dem meine gesättigten Adern anschwollen, über dem Dröhnen ihres Herzschlages in meinen Ohren. ›Die Lampen flüsterte ich, ›schau sie an!‹ Ihr Herzschlag wurde langsamer und stand still, der Kopf fiel zurück auf das Kissen, die Augen verloren ihren Glanz. Mir war, als könne auch ich mich nicht rühren; doch ich mußte, das wußte ich; ich wußte, daß jemand mein Handgelenk an meinen Mund hob, während das Zimmer sich um mich drehte, daß ich in das Licht starrte, wie ich es sie geheißen hatte, mein eigenes Blut an meinem Puls schmeckte und es ihr zu trinken gab. ›Trinke es!‹ sagte ich zu ihr, ›trinke!‹ Aber sie lag wie tot, und das Blut lief ihr über die Lippen. Noch einmal drückte ich sie an mich, bis sie die Augen öffnete und ich den sanften Druck ihres Mundes spürte, als sie meinen Arm umfaßte und zu saugen begann. Ich wiegte sie hin und her, flüsterte ihr zu und versuchte verzweifelt, meiner Verzückung Herr zu werden; und dann spülte ich ihre mächtige Anziehungskraft. Ich fühlte es in allen Adern, ihr Herz schlug wieder kraftvoll an meinem Herzen, ihre Finger gruben sich in meinen Arm, meine Handfläche. Es durchfuhr mich schneidend, verzehrte mich, so daß ich fast aufgeschrien hätte, und ich zog meinen Leib zurück, doch ohne sie loszulassen, und ihr Atem ging im gleichen Takt mit dem Strom meines Blutes, bis ich mich schließlich befreite, zurücksank und meine blutenden Pulsadern mit der Hand bedeckte.
Sie starrte mich an, mit blutbedeckten Lippen, und es schien eine Ewigkeit zu vergehen. Sie legte die Hand an den Mund, ihre Augen bewegten sich nicht, doch sie wurden größer und größer. Dann erhob sie sich, nicht durch eigene Kraft, sondern wie von einer unsichtbaren anderen Kraft gehoben, die sie nun festhielt und herumdrehte, während sie nicht aufhörte zu starren, wie eine große holzgeschnitzte Figur auf einem Musikautomaten, die sich zur Musik im Kreise dreht. Plötzlich sah sie auf ihr Taftkleid hinunter, hob die knisternde Seide mit den Fingern und ließ sie fallen, die Hände auf den Ohren, die Augen geschlossen. Dann öffnete sie die Augen wieder, schien die Lampe im Nebenzimmer zu erblicken, ging darauf zu und blieb gebannt stehen, als sei das Licht etwas Lebendes. ›Faß es nicht an!‹ rief Claudia; doch Madeleine hatte die Blumen auf dem Balkon erblickt und ging hinaus, streichelte die feuchten Blüten und drückte die Regentropfen auf ihr Gesicht.
Ich beobachtete sie von weitem, jeden Schritt, jede Bewegung, wie sie die Blumen in der Hand zerdrückte und die Blütenblätter auf den Boden fallen ließ, wie sie die Fingerspitzen an den Spiegel legte und in ihre eigenen Augen starrte. Mein Schmerz hatte nachgelassen; ich hatte ein Taschentuch um die Wunde gebunden und wartete ab. Ich merkte, daß Claudia keine Erinnerung daran hatte, was nun folgen mußte. Sie tanzten zusammen; Madeleine nahm Claudia auf die Arme und drehte sich mit ihr im Kreise. Madeleine war blasser und blasser geworden, und jetzt verließen sie die Kräfte; sie trat einen Schritt zurück und schien das Gleichgewicht zu verlieren. Doch schnell richtete sie sich auf und setzte Claudia sanft auf den Boden. Claudia stellte sich auf die Zehenspitzen und umarmte sie. ›Louis!‹ rief sie leise. ›Louis…‹
Ich winkte ihr, beiseite zu treten. Madeleine schien uns gar nicht zu sehen; sie starrte auf ihre eigenen ausgestreckten Hände, wischte sich die Lippen ab und betrachtete geistesabwesend die dunklen Flecken an den Fingern. Ein langer Seufzer kam über ihre Lippen.
Ich hatte Claudia bei der Hand genommen und hielt sie an meiner Seite.
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