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Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir

Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir

Titel: Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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des Vampirs, so daß sie in einer Nacht, nachdem ich sie vom übermäßigen Töten zurückgehalten hatte, mit der gleichen Unermüdlichkeit aus ein paar Stöcken einen Schaukelstuhl für Claudia zimmerte, genau nach deren Proportionen, so daß Claudia wie eine Frau wirkte, wenn sie darin am Kamin saß. Dazu kam in den folgenden Nächten ein Tisch in der passenden Größe; und aus einem Spielzeugladen holte Madeleine eine kleine Petroleumlampe, ein winziges Porzellantäßchen und, aus der Handtasche einer Dame, ein ledergebundenes Notizbüchlein, das in Claudias Händen wie ein riesiger Foliant wirkte. Bald hatte Claudia ein eigenes Zimmerchen, von dem die andere Welt ausgeschlossen schien: ein Himmelbett, dessen Pfosten mir nur bis zu den Westenknöpfen reichten; kleine Spiegel, die gerade die Beine eines unförmigen Riesen wiedergaben, wenn ich davorstand; für Claudias Augen niedrig gehängte Bilder; und schließlich auf dem kleinen Frisiertisch schwarze Abendhandschuhe für winzige Finger, ein tief ausgeschnittenes Abendkleidchen aus mittemachtblauem Samt, ein Diadem von einem Kinder-Maskenball, und Claudia, die Krönung alles dessen, eine Feenkönigin mit nackten weißen Schultern, wanderte zwischen den verschwenderischen Requisiten ihrer Zwergenwelt umher, während ich mich ungeschlacht davorhockte oder auf dem Teppich ausstreckte, den Kopf auf den Arm gelegt, um mein Liebchen zu beobachten, das selber besänftigt und verzaubert schien von der Vollkommenheit dieses kleinen Heiligtums. Wie schön sie war in schwarzer Spitze, eine kühle, flachshaarige Frau mit dem Puppengesicht und den klaren Augen, die mich so gelassen und lange anschauten, bis sie mich vergaßen und in etwas anderes versunken waren, etwas anderes als die plumpe Welt, die mich umgab und die Jetzt aufgegeben war von einer, die darin gelitten, immer gelitten hatte, doch nun nicht mehr zu leiden schien und dem Geklingel einer Spieluhr lauschte.
    Ich legte die Hände unter den Kopf und blickte zu dem Kronleuchter empor; es war schwer, mich von einer Welt zu lösen und in eine andere einzutreten. Madeleine saß auf der Chaiselongue, arbeitete mit verzehrendem Eifer, als ob die Unsterblichkeit nicht vor allem Ruhe bedeutete, und nähte cremefarbene Spitzen an seidene Bettücher, nur gelegentlich hielt sie inne, um sich den vom Blut gefärbten Schweiß von der bleichen Stirne zu tupfen. Und ich fragte mich, wenn ich die Augen schloß, ob nicht diese Liliput-Welt eines Tages die Zimmer um mich vollends in Besitz nehmen und ich wie Gulliver aufwachen würde, an Händen und Füßen gefesselt, ein unwillkommener Riese? Ich sah Häuser vor mir, eigens für Claudia gebaut, in deren Gärten Mäuse Ungeheuer sein würden und Blumen gewaltige Bäume. Sterbliche wären entzückt gewesen und auf die Knie gefallen, um einen Blick durch die winzigen Fenster zu erhaschen.
    Tatsächlich war ich bereits an Händen und Füßen gefesselt. Nicht allein von dieser Feenkönigin, sondern auch durch die Angst war ich gebunden. Daß ich außerhalb dieser Zimmer, in denen ich angeblich die Erziehung Madeleines überwachte - ziellose Unterhaltungen über das Töten und über die Vampirnatur, worin Claudia sie besser hätte unterrichten können als ich, wenn ihr je daran gelegen hätte, diese Aufgabe zu übernehmen - daß ich außerhalb dieser Zimmer, wo mir nächtlich mit sanften Küssen und dankbaren Blicken bestätigt wurde, daß der leidenschaftliche Haß, den Claudia einst gezeigt hatte, nicht wiederkehren würde - daß ich mich da draußen vergewissern würde, ob ich mich tatsächlich gewandelt hatte, ob es mein sterblicher Teil gewesen war, der geliebt hatte - dessen war ich sicher. Was also empfand ich beim Gedanken an Armand, für den ich hatte frei sein wollen? Eine merkwürdige, störende Distanz? Einen dumpfen Schmerz? Angstvolles Zittern? Sogar in unserer eitlen Geschäftigkeit sah ich Armand vor mir in seiner Mönchszelle, sah seine dunkelbraunen Augen und fühlte seine geheimnisvolle Anziehungskraft.
    Und doch machte ich keine Anstalten, zu ihm zu gehen. Ich wagte nicht, das Ausmaß dessen zu erkennen, was ich verloren haben könnte. Oder zu versuchen, diesen Verlust von einer anderen bedrückenden Erkenntnis zu trennen: daß ich in Europa keine Wahrheiten gefunden hatte, die geeignet gewesen wären, die Einsamkeit zu lindem, die Verzweiflung zu beenden. Statt dessen hatte ich nur das Getriebe meiner eigenen kleinen Seele bloßgelegt, Claudias Seelenqualen und

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