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Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir

Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir

Titel: Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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›Louis!‹ flüsterte sie mit jener übernatürlichen Stimme, die für Madeleine unhörbar war.
    ›Sie stirbt‹, flüsterte ich und strich Claudia das Haar von ihrem Ohr. ›du kannst dich mit deinem Kindergedächtnis nicht daran erinnern. Dir ist es erspart geblieben; es hat keine Spuren bei dir hinterlassen.‹ Dabei behielt ich Madeleine im Auge, die ruhelos von Spiegel zu Spiegel wanderte, während ihre Tränen flössen und das Leben den Körper zu verlassen schien.
    ›Aber Louis, wenn sie stirbt…‹, rief Claudia.
    Ich sah den Kummer in dem kleinen Gesicht, beugte mich zu ihr hinunter und küßte ihre Wange. ›Sie stirbt nicht‹, sagte ich, ›das Blut war stark genug, sie wird leben.‹ Claudia sah mich an mit einer Mischung aus Furcht und Bewunderung, als ich mich Madeleine näherte. Madeleine taumelte, die Hände ausgestreckt, ich fing sie auf und hielt sie fest. Schon flackerten ihre Augen in einem unnatürlichen Licht, das sich in ihren Tränen spiegelte.
    ›Es ist der sterbliche Tod, nur der sterbliche Tod‹, sagte ich. ›Siehst du den Himmel? Wir müssen uns zur Ruhe betten, du an meiner Seite, fest an mich geschmiegt. Schlaf, schwer wie der Tod, wird sich auf meine Glieder legen, und ich werde dich nicht trösten können. Und du wirst liegen und dagegen ankämpfen. Aber du wirst mich in der Dunkelheit nicht loslassen, hörst du? Und ich werde deine Hände halten, solange ich etwas fühle.‹
    Ich führte sie behutsam zu dem Sarg und ermahnte sie nochmals, sich nicht zu fürchten. ›Wenn du erwachst, wirst du unsterblich sein‹, sagte ich. »Kein natürlicher Tod kann dir ein Leid antun. Leg dich nieder.‹ Sie hatte Angst, schrak vor dem engen Schrein zurück. Schon begann ihre Haut zu schimmern, sie bekam den Glanz, den Claudia und ich hatten. Doch ich wußte, sie würde sich nicht ergeben, bevor ich bei ihr lag.
    Am anderen Ende des Zimmers stand Claudia und beobachtete mich, mit Argwohn und Mißtrauen in den kühlen Augen. Ich setzte Madeleine neben ihrer Ruhestatt ab und ging auf jene Augen zu, kniete nieder und nahm Claudia in die Arme. ›Erkennst du mich nicht?‹ fragte ich sie. ›Weißt du nicht, wer ich bin?‹
    Sie sah mich an. ›Nein‹, sagte sie.
    Ich lächelte. ›Laß uns das Kriegsbeil begraben. Wir sind quitt.‹ Sie legte den Kopf auf die Seite und studierte sorgfältig mein Gesicht; dann lächelte sie wider Willen und nickte zustimmend.
    ›Denn, siehst du‹, fuhr ich ruhig fort, ›was heute abend hier starb, war nicht diese Frau. Sie wird noch viele Nächte sterben, vielleicht Jahre. Was heute in diesem Zimmer starb, war die letzte Spur dessen, was in mir selbst sterblich gewesen ist.‹
    Ein Schatten fiel über Claudias Gesicht. Ihre Lippen öffneten sich, doch nur, um Atem zu holen. Erst nach einer Weile sagte sie: ›Gut - dann hast du recht. Wir sind quitt.‹«

    »Eines Tages sagte Madeleine: ›Ich möchte den Puppenladen in Brand stecken!‹ Sie verbrannte im Kamin die Sachen ihres toten Kindes: zusammengelegte Kleidchen, weiße Spitzen und vergilbte Wäsche, abgetragene Schuhe und Häubchen, die nach Lavendel und Mottenkugeln rochen. ›Sie bedeuten mir nichts mehr‹, sagte sie, während sie das Feuer überwachte und dazwischen auf Claudia einen Blick warf, in dem Genugtuung und leidenschaftliche Ergebenheit lagen.
    Ich glaubte ihr nicht, so sicher war ich - obwohl ich sie Nacht für Nacht von Männern und Frauen wegführen mußte, die sie nicht austrinken konnte, weil sie schon vom Blut vorhergehender Opfer gesättigt war -, so sicher war ich, daß diese wilde Unersättlichkeit früher oder später nachlassen und sie sich der Annehmlichkeiten ihres neuen Lebens bewußt werden würde, ihres eigenen lumineszierenden Fleisches, der luxuriösen Suite im Hotel Saint-Gabriel, daß sie frohlocken würde, weil sie erwacht, weil sie frei war. Sie begriff noch nicht, daß es kein Experiment war; sie war besessen.
    Aber ich erkannte nicht, wie besessen sie war und wie sehr sie noch an ihren Träumen hing und daß sie nicht nach Wirklichkeit verlangte, sondern die Wirklichkeit ihren Träumen anpassen wollte, um daraus ihre eigene, spinnwebartige Welt zu machen. Ich begann ihre Habgier zu begreifen, ihre magische Kraft.
    Sie verstand sich auf die Herstellung von Puppen, hatte immer wieder Abbilder ihres toten Kindes angefertigt, die nun, wie sie erzählte, die Regale eines Ladens füllten, den wir bald besuchen sollten. Dazu kam nun die Geschicklichkeit und Tatkraft

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