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Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir

Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir

Titel: Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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dem Abend ausmalen, als der Bruder zum vereinbarten Duell in die Stadt fuhr. Und nun stelle dir Lestat vor, die Zähne fletschend wie der Teufel in einer komischen Oper, weil er den jungen Freniére nicht töten konnte.«
    »Sie hatten also… Mitgefühl für die jungen Damen?« »Durchaus. Ihre Lage war verzweifelt. Und ich hatte Mitleid mit dem Jüngling. Am Abend schloß er sich in seines Vaters Arbeitszimmer ein und machte sein Testament. Er wußte sehr wohl, daß auch seine Familie verloren sein würde, wenn er um vier Uhr morgens unter dem Rapier seines Gegners fiele. Aber es gab keinen Ausweg. Sich dem Duell zu entziehen, hätte nicht nur seinen gesellschaftlichen Untergang bedeutet, sondern wäre wahrscheinlich ganz unmöglich gewesen. Der andere junge Mann hätte ihn so lange verfolgt , bis er sich gestellt hätte. Als er um Mittemacht die Plantage verließ, blickte er dem Tod ins Antlitz als ein Mann, dem nur ein Weg zu gehen bleibt, und der entschlossen ist, ihn tapfer zu gehen. Entweder würde er den Spanier töten oder selber sterben; es war ganz ungewiß, trotz seiner Geschicklichkeit. Sein Gesicht spiegelte bei aller Klugheit eine so tiefe Empfindung, wie ich sie noch nie auf dem Gesicht eines von Lestats Opfern gesehen hatte. Da kam es zu meinem ersten Kampf mit Lestat; monatelang hatte ich ihn gehindert, den Jüngling umzubringen, und jetzt wollte er ihn töten, ehe es der Spanier tun konnte.
    Wir ritten hinter dem jungen Freniére her auf New Orleans zu. Lestat bemüht, ihn zu überholen, und ich, um Lestat zuvorzukommen. Das Duell sollte, wie ich dir schon sagte, um vier Uhr morgens stattfinden, und zwar am Rande der Sümpfe gleich hinter dem nördlichen Stadttor. Und wenn wir kurz vor vier dort anlangten, hatten wir nur noch sehr wenig Zeit, nach Pointe du Lac zurückzukehren, und das bedeutete, daß unserem Leben Gefahr drohte. Ich war auf Lestat wütend wie noch nie, und er war fest entschlossen, sich des jungen Freniére zu bemächtigen. ›Gib ihm eine Chance!‹ bat ich, als ich mich Lestat nähern konnte, bevor er den Jüngling erreichte. Es war tiefer Winter, feucht und bitter kalt in den Sümpfen, und ein Hagelschauer nach dem anderen ging über der Lichtung nieder, wo das Duell ausgefochten werden sollte. Natürlich fürchtete ich die Elemente nicht in dem Sinne, wie du es tun würdest; sie ließen mich nicht erstarren und bedrohten mich nicht mit Tod oder Krankheit. Doch fühlen Vampire die Kälte nicht weniger als Sterbliche, und das Blut ihres Opfers hilft ihnen oft, die Kälte zu ertragen. Aber nicht die Kälte war es, die mich an diesem Morgen bekümmerte, sondern die völlige Dunkelheit, die über dem Schauplatz lag und Lestats Angriff auf Freniére begünstigte. Dieser brauchte sich nur ein paar Schritte von seinen Freunden zu entfernen, und Lestat würde sich ihn schnappen. Und so kämpfte ich handgreiflich mit Lestat, um ihn festzuhalten.«
    »Und dabei waren Sie immer… distanziert, unbeteiligt?«
    »Hmmm…« Der Vampir seufzte. »Ja. Ich war es, wenn auch mit einem ganz entschiedenen Ärger. Sich an dem Leben einer ganzen Familie sättigen zu wollen, schien mir Lestats äußerste Verachtung auszudrücken, seine Geringschätzung all dessen, was er mit dem Scharfsinn eines Vampirs hätte sehen müssen. So hielt ich ihn im Dunkeln fest, während er mich anspie und verfluchte; und der junge Freniére nahm das Rapier von seinem Sekundanten und trat auf das feuchte, schlüpfrige Gras, um sich seinem Gegner zu stellen. Nach einem kurzen Wortwechsel begann der Zweikampf, und nach wenigen Augenblicken war er zu Ende. Freniére hatte den anderen mit einem schnellen Stoß gegen die Brust tödlich verwundet, und dieser kniete im Gras, blutete sich zu Tode und rief dem Sieger etwas Unverständliches zu. Der stand regungslos da, und man konnte sehen, daß er sich seines Sieges nicht freute; er betrachtete den Tod wie eine Schändlichkeit. Seine Begleiter näherten sich ihm mit Laternen und beschworen ihn, rasch aufzubrechen und den Sterbenden seinen Freunden zu überlassen. Doch dieser gestattete niemanden, ihn zu berühren, und plötzlich, während Freniére und die anderen zu ihren Pferden schritten, zog er, halb liegend, eine Pistole. Vielleicht war ich der einzige, der es in dieser gewaltigen Finsternis sehen konnte. Ich lief auf die Pistole zu und rief Freniére eine Warnung zu. Das war alles, was Lestat brauchte. Während ich unbeholfen einherstolperte und Freniére verwirrte,

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