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Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir

Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir

Titel: Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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wußten alle Schwestern, daß ein ›seltsames Wesen‹ gesehen worden war, eine geisterhafte Erscheinung, und die beiden schwarzen Hausmädchen weigerten sich standhaft nachzuforschen. Ich wartete ungeduldig, bis das geschah, was ich beabsichtigt hatte: Babette nahm einen Leuchter von einem Seitentisch, zündete die Kerzen an, schlug die Warnungen der anderen in den Wind und wagte sich allein auf die kalte Galerie, um zu sehen, was dort los war. Ihre Schwestern blieben an der Tür zurück, wie große schwarze Vögel, und die eine rief weinend, daß ihr Bruder tot sei und sie soeben seinen Geist erblickt habe. Babette indessen schien an keine Geister zu glauben. Ich ließ sie die ganze dunkle Galerie durchschreiten, ehe ich sie ansprach, und ließ auch nur die vagen Umrisse meines Körpers zwischen den Säulen sehen. »Sagen Sie Ihren Schwestern, sie sollen sich zurückziehen‹, flüsterte ich. ›Ich bin gekommen, um Ihnen Nachricht von Ihrem Bruder zu bringen.‹ Sie zögerte einen Augenblick, dann versuchte sie, mein Gesicht in der Dunkelheit zu sehen. ›Ich tue Ihnen kein Leid‹, fuhr ich fort. ›Aber ich habe nur wenig Zeit. Tun Sie, was ich Ihnen sage.‹ Sie gehorchte, sagte zu ihren Schwestern, es wäre weiter nichts, und sie sollten die Tür schließen. Und sie fügten sich, wie Leute, die sich nur zu gern unterordnen. Dann trat ich in das Licht von Babettes Kerzen.«
    Der Junge riß die Augen auf und legte die Hand auf seinen Mund. »Haben Sie… sie angeschaut, so wie Sie mich jetzt anschauen?«
    »Du fragst es mit solcher Unschuld«, sagte der Vampir. »Ja, ich nehme es an. Sicher. Nur habe ich bei Kerzenlicht immer ein weniger übernatürliches Aussehen gehabt. Doch ich bemühte mich auch nicht, den Anschein zu erwecken, ich sei ein gewöhnlicher Sterblicher. ›Ich habe nur wenige Minuten‹, wiederholte ich. ›Doch was ich Ihnen sagen muß, ist von größter Wichtigkeit. Ihr Bruder hat tapfer gefochten und das Duell gewonnen - aber warten Sie. Sie müssen wissen, daß er tot ist. Der Tod kam zu ihm wie ein Dieb in der Nacht, und alle seine Güte und Tapferkeit konnten ihm nicht helfen. Doch darum geht es jetzt nicht mehr. Die Hauptsache - und darum bin ich hier - ist, daß Sie von jetzt an die Plantage leiten, denn Sie können sie retten. Lassen Sie sich von niemandem eines Besseren belehren. Sie müssen die Aufgabe Ihres Bruders übernehmen, auch wenn die Leute sich empören und von Vernunft oder Schicklichkeit reden. Hören Sie nicht auf sie. Das Land ist das gleiche geblieben wie gestern früh, als Ihr Bruder noch oben schlief; nichts hat sich verändert. Sie müssen seinen Platz einnehmen; wenn Sie es nicht tun, ist das Land, ist die Familie verloren. Dann werden Sie fünf Frauen mit einer kleinen Pension sein, von der Sie das Leben nicht halb so führen können, wie Sie es gewohnt sind. Lernen Sie, was Sie wissen müssen; lassen Sie nicht nach, ehe Sie die Antworten haben. Und schöpfen Sie Mut aus meinem Besuch, wann immer Sie ins Wanken geraten. Sie müssen Ihr Leben jetzt selber in die Hand nehmen. Ihr Bruder ist tot.‹
    Ich konnte an ihrem Gesicht sehen, daß sie jedes Wort gehört hatte. Sie hätte mir Fragen gestellt, wäre dazu Zeit gewesen; doch glaubte sie mir, als ich sagte, ich müsse mich sputen. Dann gab ich mir alle Mühe, sie so schnell zu verlassen, wie eine Vision schwindet. Vom Garten aus sah ich noch ihr Gesicht im Schimmer der Kerzen, sah, wie sie mich im Dunkeln suchte und dahin und dorthin ging. Dann machte sie das Zeichen des Kreuzes und kehrte zu ihren Schwestern zurück.«
    Der Vampir lächelte. »Niemand sprach davon, daß Babette Freniére eine seltsame Erscheinung gehabt hatte, doch nach einigen Tagen der Trauer fiel die Nachbarschaft über sie her, weil sie es wagte, die Plantage allein zu leiten. Aber sie wirtschaftete eine sehr umfangreiche Mitgift für eine jüngere Schwester heraus, und nach einem weiteren Jahr war sie selbst vermählt. Und Lestat und ich sprachen kaum ein Wort miteinander.«
    »Blieb er in Pointe du Lac?«
    »Ja. Ich war nicht sicher, ob er mir alles mitgeteilt hatte, was ich wissen mußte. Und sehr große Vorsicht und Verstellung waren vonnöten. Zum Beispiel heiratete meine Schwester ohne mich, während ich ›Malariafieber‹ hatte, und etwas Ähnliches befiel mich am Tage, da meine Mutter begraben wurde. Dagegen saßen Lestat und ich jeden Abend zum Dinner bei seinem Vater und handhabten geräuschvoll Messer und Gabel, während er uns

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