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Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir

Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir

Titel: Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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wir sinnvoll verwenden. Doch ich komme später darauf zurück. Ich begnügte mich damit, Tiere zu töten; Lestat hingegen tötete stets Menschen, oft zwei oder drei in einer Nacht, manchmal sogar mehr. Vom ersten trank er gerade so viel Blut, um seinen Durst zu stillen, und dann suchte er sein nächstes Opfer. Je besser der Mensch, wie er in seiner vulgären Art sagen würde, um so mehr fühlte er sich hingezogen. Ein frisches junges Mädchen bevorzugte er als erstes am Abend; doch sein größter Triumph war ein junger Mann. Ein Jüngling, der ungefähr in deinem Alter war, hätte ihm besonders zugesagt. Einer wie du.«
    »Wie ich?« flüsterte der Junge. Er hatte sich vorgebeugt, auf die Ellbogen gestützt, um dem Vampir in die Augen zu sehen; jetzt richtete er sich auf. »Ja«, fuhr der Vampir fort, als habe er die Veränderung im Ausdruck des Jungen nicht bemerkt. »Weißt du, sie verkörperten den größten Verlust für Lestat, denn sie standen an der Schwelle der größten Lebensmöglichkeiten. Natürlich hat Lestat es nie recht begriffen. Ich habe es erkannt; Lestat verstand nichts.
    Ich werde dir ein gutes Beispiel dafür geben, was Lestat liebte. Flußaufwärts war die Plantage der Familie Freniére, ein wundervolles Stück Land, das einen reichen Zuckerertrag versprach, zu einer Zeit, als gerade die Raffinierung erfunden worden war. Ich nehme an, du weißt, daß in Louisiana Zucker raffiniert wurde. Es hat etwas Vollkommenes und Ironisches an sich, daß dieses Land, das ich liebte, Zucker raffinierte. Ich meine das unheilvoller, als du wahrscheinlich annimmst. Dieser raffinierte Zucker ist ein wahres Gift; die Leute in New Orleans waren ganz darauf versessen. Er war wie ein elementarer Bestandteil des Lebens in New Orleans, so süß, daß er tödlich sein konnte, und so überaus verführerisch, daß er alle anderen Werte vergessen machte. Dort also wohnten die Freniéres, eine ehrwürdige französische Familie, aus der in jener Generation fünf Mädchen und ein Jüngling hervorgegangen waren. Dreien der Mädchen war es bestimmt, unvermählt zu bleiben, zwei waren noch jung, und alles lastete auf den Schultern des jungen Mannes. Er mußte die Plantage leiten, wie ich es für meine Mutter und Schwester getan hatte; er mußte Heiraten vermitteln und die Mitgift festsetzen, und das war nicht leicht, denn das Schicksal der Familie hing stets von dem Ausfall der nächsten Zuckerernte ab. Und darüber hinaus war er bemüht, der Welt der Freniéres alle materiellen Sorgen, fernzuhalten. Lestat hatte es auf ihn abgesehen. Und als das Schicksal Lestat ein Schnippchen zu schlagen drohte, verlor er fast den Verstand. Er setzte sein eigenes Leben aufs Spiel, um diesen Jüngling zu bekommen. Der war in eine Duellaffäre verwickelt, da er auf einem Ball einen jungen hispanischen Kreolen beleidigt hatte. Das Ganze war eine Bagatelle, aber wie die meisten Kreolen war auch dieser willens, aus nichtigem Anlaß zu sterben. Beide wollten um nichts sterben, und das ganze Haus Freniére war in Aufruhr. Lestat wußte, wie es stand. Wir hatten beide die Plantage heimgesucht; er hatte nach Sklaven und Hühnerdieben gejagt, ich nach Tieren.«
    »Sie haben nur Tiere getötet?«
    »Ja. Aber darauf komme ich später zurück. Wir kannten also beide die Plantage, und ich hatte mich an einem der größten Vergnügen ergötzt, das Vampire haben können, nämlich unbemerkt andere zu beobachten. Ich kannte die Schwestern Freniére so genau, wie ich die schönen Rosenstöcke um meines Bruders Kapelle gekannt hatte. Es waren einzigartige Frauen, jede auf ihre Weise hübsch wie ihr Bruder; und eine, Babette, nicht nur ebenso hübsch, sondern auch weitaus klüger. Aber keine war darauf vorbereitet worden, die Plantage zu leiten, keine hatte auch nur die geringste Ahnung von Geldgeschäften. Sie waren alle von dem jungen Freniére abhängig, und sie wußten das. Und so, verzärtelt in ihrer Liebe zu ihm und in dem leidenschaftlichen Glauben, daß er imstande sei, den Lauf der Gestirne zu lenken, und daß alle Ehefreuden, die sie je genießen könnten, nur ein schwacher Abglanz ihrer Bruderliebe sein würden, war diese Liebe durchsetzt von einem verzweifelten Lebenswillen. Wenn Freniére im Duell fiel, würde die Plantage zusammenbrechen. Ihre schwache Ökonomie, ihr glanzvolles Leben, das auf der fortlaufenden Verpfändung der nächstjährigen Ernte beruhte, lag allein in seinen Händen. Und so kannst du dir die Angst und den Schrecken im Hause an

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