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Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir

Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir

Titel: Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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stürzte sich der erfahrene Lestat mit überlegener Schnelligkeit auf den jungen Mann und schleppte ihn zwischen die Zypressen. Ich glaube, seine Freunde merkten gar nicht, was geschah. Die Pistole war losgegangen, der Verwundete zusammengebrochen, und ich hastete über den halbgefrorenen Sumpf und rief nach Lestat.
    Dann sah ich ihn. Freniére lag hingestreckt auf den knorrigen Wurzeln einer Zypresse, die Stiefel tief im trüben Wasser, und Lestat beugte sich über ihn, eine Hand auf Freniéres Hand gelegt, die noch immer den Degen hielt. Ich lief hinzu, um Lestat wegzureißen, und er schlug mit solcher Blitzesschnelle nach mir, daß ich es nicht sehen konnte, nicht wahrnahm, daß er mich traf, bis ich selber im Wasser lag, und als ich mich wieder aufraffte, war Freniére tot. Ich sah ihn liegen, mit geschlossenen Augen und unbewegten Lippen, als wäre er gerade eingeschlafen. Ich verfluchte Lestat: ›Hol dich der Teufel!‹ Und dann sah ich zu meinem Entsetzen, daß Freniéres Körper langsam in das Moor einsank. Das Wasser quoll über sein Gesicht und bedeckte ihn schließlich ganz. Lestat triumphierte; dann machte er mich in dürren Worten darauf aufmerksam, daß wir nur noch eine knappe Stunde für die Rückkehr nach Pointe du Lac hatten, und er schwor mir Rache. ›Wenn mir das Leben eines Pflanzers im Süden nicht so behagte, würde ich dich heute nacht fertigmachen. Ich wüßte auch wie‹, sagte er drohend. ›Ich brauchte nur dein Pferd ins Moor zu treiben. Dann könntest du dir ein Loch graben und langsam vermodern.‹ Und damit ritt er davon. Noch nach diesen vielen Jahren spüre ich den Zorn auf ihn wie eine heiße Flüssigkeit in den Adern. Damals erkannte ich, was Vampir sein für ihn bedeutete.«
    »Er war eben ein Killer, weiter nichts«, sagte der Junge, und in seiner Stimme klang etwas von der Erregung des Vampirs wider. »Keine Achtung vor irgend etwas.«
    »Nein. Vampir sein bedeutete für ihn Rache, Rache am Leben selbst. Jedesmal wenn er jemand umbrachte, war es Rache. Kein Wunder also, wenn er nichts und niemanden achtete. Er war unzugänglich für die Nuancen einer Vampirexistenz, weil er mit geradezu manischer Rachsucht auf das sterbliche Leben fixiert war, das er hinter sich gelassen hatte. Von Haß verzehrt, blickte er zurück. Von Neid verzehrt, konnte ihn nichts befriedigen, wenn er es nicht von anderen nahm; und sobald er es hatte, wurde er sogleich wieder kalt und unbefriedigt und jagte nach einem neuen Opfer. Rachsucht, blinde, unfruchtbare und verächtliche Rachsucht.
    Aber ich habe dir von den Schwestern Freniére erzählt. Es war fast halb sechs, als ich in ihrer Plantage anlangte. Kurz nach sechs Uhr würde es dämmern, aber ich war ja fast zu Hause. Ich schlich mich auf die obere Galerie und sah sie alle im Salon versammelt; sie hatten sich gar nicht für die Nacht umgezogen. Schwarz gekleidet, wie es ihre Gewohnheit war, saßen sie wie Trauernde und warteten auf Nachricht. Die Kerzen waren heruntergebrannt, und in der Dunkelheit flössen die schwarzen Kleider und ihre rabenschwarzen Haare ineinander, so daß die Gesichter wie fünf sanfte, schimmernde Erscheinungen schwebten, jedes unsäglich traurig. Nur Babettes Gesicht schien beherzt, als sei sie schon entschlossen, bi in Tod des Bruders die Last der Familie auf sich zu nehmen, und sie hatte nun den gleichen Ausdruck wie der junge Freniére, als er zum Zweikampf aufgebrochen war. Vor ihr lag eine nahezu undurchführbare Aufgabe. Es war der endgültige Tod, den Lestat zu verantworten hatte. Und so tat ich etwas sehr Riskantes: ich machte mich ihr bemerkbar, indem ich mit dem Licht spielte. Wie du siehst, ist mein Gesicht sehr weiß und hat eine glatte, stark reflektierende Oberfläche, wie polierter Marmor.«
    Der Junge nickte. »Ja«, sagte er. »Es ist sehr… schön, wirklich. Ob Sie wohl… aber wie ging es weiter?«
    »Du möchtest wissen, ob ich ein schöner Mann war, als ich lebte, nicht wahr?« fragte der Vampir. Der Junge nickte abermals. »Ich war es wirklich. Rein von der Gestalt her hatte sich bei mir nichts verändert. Nur daß ich das damals nicht wußte. Das Leben wirbelte mit tausend Nichtigkeiten um mich herum, wie ich schon erwähnte - ich betrachtete nichts mit Aufmerksamkeit, auch keinen Spiegel. Doch an jenem Abend geschah folgendes: Ich trat an die Fensterscheibe und ließ das Licht auf mein Gesicht fallen, gerade in dem Augenblick, als Babette zum Fenster sah. Dann verschwand ich.
    Binnen Sekunden

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