Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir
als verlöre ihre Seele das Bewußtsein. Sie schloß die Augen und schüttelte den Kopf, wie wenn ich sie, ohne es zu wollen, in Trance versetzt hätte. ›Wer sind Sie?‹ flüsterte sie. ›Sie kommen vom Teufel. Sie sind vom Teufel gekommen, als Sie zum ersten Mal bei mir waren.‹
›Vom Teufel?‹ wiederholte ich. Es betrübte mich mehr, als ich je gedacht hatte, daß mich etwas betrüben könne. Wenn sie es glaubte, so würde sie meinen Rat für schlecht halten und gezwungen sein, ihre eigene Existenz in Frage zu stellen. Ich wußte, daß sie es nicht tun durfte; ihr Leben war reich und gut. Wie alle starken Menschen litt sie in einem gewissen Maße an Einsamkeit; sie war ein gesellschaftlicher Außenseiter, eine Ungläubige insgeheim. Und das Gleichgewicht ihres Lebens würde gestört, wenn sie ihre eigene Güte anzweifeln müßte. Sie starrte mich mit unverhohlenem Grausen an; es war, als vergäße sie in ihrem Entsetzen ihre eigene verletzbare Lage. Und Lestat, den jede Schwäche anzog wie einen Verdurstenden das Wasser, packte sie jetzt am Handgelenk, und sie schrie auf und ließ die Lampe fallen, so daß die Flamme das ausgeschüttete Öl erfaßte. Lestat zog sie zurück zur offenstehenden Tür. ›Holen Sie den Wagen!‹ herrschte er sie an. ›Holen Sie ihn sofort, und die Pferde. Sie sind in Lebensgefahr, reden Sie jetzt nicht von Teufeln.»
Ich trat die Flammen aus und rief Lestat zu, er solle Babette loslassen. Er hielt sie an beiden Handgelenken fest, und sie war wütend. ›Du wirst das ganze Haus aufwecken, wenn du nicht den Mund hältst‹, sagte er zu mir. ›Und ich werde sie töten. Geben Sie uns den Wagen … führen Sie uns hin und sagen Sie dem Stallknecht Bescheide sagte er zu Babette und stieß sie hinaus.
Wir bewegten uns langsam über den dunklen Hof - meine Qual war fast unerträglich -, Lestat vor mir und vor uns Babette, die rückwärts ging und uns durch das Dunkel anstarrte. Plötzlich blieb sie stehen. Im Hause oben brannte ein trübes Licht. ›Ich gebe Ihnen nichts!‹ sagte sie. Ich stieß Lestat an und sagte, er solle mich handeln lassen. ›Sie wird uns an jedermann verraten, wenn ich nicht mir ihr spreche^ flüsterte ich ihm zu.
›Dann nimm dich selber zusammen‹, antwortete er angewidert. ›Sei standhaft und mache keine Ausflüchte.‹
›Tu, was ich dir sage‹, erwiderte ich. ›Geh zu den Ställen und hole Pferde und Wagen heraus. Aber du darfst nicht töten!‹ Ob er mir gehorchen würde oder nicht, wußte ich nicht, aber er schoß davon, während ich zu Babette trat. Ihr Gesichtsausdruck war eine Mischung aus Wut und Entschlossenheit. ›Hebe dich weg von mir, Satan!‹ rief sie. Und ich stand vor ihr, sprachlos, und versuchte ihrem Blick standzuhalten. Sie ließ nicht erkennen, ob sie Lestat durch das Dunkel hören konnte. Ihr Haß auf mich brannte wie Feuer.
›Warum sagen Sie das zu mir?‹ fragte ich. ›War der Rat schlecht, den ich Ihnen gab? Habe ich Ihnen Böses zugefügt? Ich kam. Ihnen zu helfen, Ihnen Kraft zu geben. Ich dachte nur an Ihr Bestes, obwohl ich es nicht nötig hatte, überhaupt an Sie zu denken.‹
Sie schüttelte den Kopf. ›Warum, warum sprechen Sie so zu mir?‹ fragte sie. ›Ich weiß, was Sie in Pointe du Lac getan haben. Sie haben dort wie ein Teufel gehaust. Die Sklaven erzählen davon die wildesten Geschichten. Den ganzen Tag waren meine Leute auf der Straße am Fluß nach Pointe du Lac unterwegs; mein Gatte ist dort gewesen! Er hat das Haus in Trümmern gesehen und die Leichen von Sklaven über die Gärten und Felder verstreut! Wer sind Sie? Warum sprechen Sie so sanft zu mir? Was wollen Sie von mir?‹ Sie hielt sich nun an den Pfosten der Veranda fest und wich langsam zur Treppe zurück. In dem erleuchteten Fenster oben bewegte sich etwas.
›Ich kann Ihnen jetzt keine Antwort geben‹, erwiderte ich.
›Glauben Sie mir, daß ich nur zu Ihnen kam, um Ihnen einen Dienst zu erweisen. Und ich hätte Ihnen gestern abend nicht Kummer und Sorge gebracht, wenn ich anders gekonnt hätte.‹« Der Vampir hielt inne.
Stumm und in Gedanken verloren, starrte der Vampir vor sich hin.
Der Junge saß vorgebeugt da, mit aufgerissenen Augen. Dann senkte er den Blick, als erfordere dies der Anstand. Er sah den Vampir abermals an und wandte sich dann von ihm ab. Sein eigenes Gesicht war so bekümmert wie das des Vampirs. Er schickte sich an, etwas zu sagen, schwieg jedoch.
Sein Gegenüber sah ihn forschend an, so daß er errötete und
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