Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir
sagte er zu einem jungen schwarzen Hotelpagen. Dann schloß er rasch die Tür und fiel den Boy von hinten an, so daß der nicht wußte, wie ihm geschah. Und als Lestat über ihm kniete und schon trank, nickte er dem Mädchen zu, das vom Sofa glitt, niederkniete, das Handgelenk nahm, das er ihr reichte, und schnell die Manschette zurückschob. Erst nagte sie, als wolle sie das Fleisch verzehren, dann zeigte ihr Lestat, wie sie es machen müsse, richtete sich auf und überließ ihr den Rest und behielt dabei den Boy im Auge. Als es soweit war, beugte er sich vor und sagte:
›Nicht mehr, er stirbt… Du darfst nicht weitertrinken, wenn das Herz nicht mehr schlägt, sonst wirst du wieder krank, sterbenskrank. Verstehst du?‹ Aber sie hatte ohnehin genug und setzte sich neben Lestat aufs Sofa und drückte sich an ihn, und er legte den Arm um sie, ohne den Blick von dem Jungen zu wenden. Der war in wenigen Sekunden gestorben. Ich fühlte mich elend und erschöpft, als habe die Nacht tausend Jahre gedauert.
›Wo ist Mama?‹ fragte das Mädchen leise. Die Stimme war so lieblich wie das ganze Kind, zart und klar wie ein Silberglöckchen, doch auch sinnlich, und sinnlich war das ganze kleine Geschöpf. Ihre Augen waren groß und hell wie Babettes. Ich verstand kaum, was das alles bedeutete, doch ich ahnte es, und mir grauste. Jetzt stand Lestat auf, nahm sie auf den Arm und sagte zu mir: ›Sie ist unsere Tochter.‹ Und zu ihr sagte er: ›Du wirst jetzt mit uns leben.‹ Er lächelte sie an, doch seine Augen blieben kalt, als wäre dies alles ein grausiger Scherz. Er sah zu mir, und aus seinem Gesicht sprach innere Überzeugung. Dann schob er sie mir zu, und sie saß auf meinem Schoß, und ich hatte die Arme um sie gelegt und fühlte wieder, wie weich sie war, wie weich und warm ihre Haut, wie eine Frucht, von der Sonne beschienen. Mit ihren großen leuchtenden Augen blickte sie mich an, neugierig und vertrauensvoll. ›Dies ist Louis, und ich bin Lestat‹, sagte er. Sie schaute sich um und sagte, es wäre ein schönes Zimmer, ein sehr schönes, aber sie wolle zu ihrer Mama. Lestat zog seinen Kamm aus der Tasche und fuhr ihr durchs Haar, es war glatt und gefällig wie Seide, dabei nahm er jede Locke in die Hand, um ihr nicht weh zu tun. Es war das schönste Kind, das ich je gesehen hatte, und schon glühten ihre Augen mit dem kalten Feuer eines Vampirs. Ihre Augen waren die Augen einer Frau, das konnte ich bereits erkennen. Sie würde weiß und mager werden wie wir, doch nie ganz ihre Figur verlieren. Jetzt verstand ich, was Lestat über den Tod gesagt, was er damit gemeint hatte. Ich nahm sein Taschentuch vom Boden und drückte es leicht an ihren Hals, wo noch zwei rote Punkte ein wenig bluteten. Lestat sagte: ›Deine Mama hat dich bei uns gelassen. Sie möchte, daß du glücklich wirst. Sie weiß, daß wir dich sehr glücklich machen können.‹
Sie zeigte auf den Toten auf dem Boden und sagte: ›Ich möchte noch etwas!‹
›Nein, heute nicht mehr‹, sagte Lestat, ›morgen wieder.‹ Und er stand auf, um die tote Frau aus dem Sarg zu nehmen. Das Kind glitt von meinem Schoß und sah zu, wie Lestat die beiden Frauen und den Boy in die Betten legte und sie bis zum Kinn zudeckte. ›Sind sie krank?‹ fragte sie.
›Ja, Claudia‹, antwortete er. ›Sie sind krank, und sie sind tot. Verstehst du - sie sterben, wenn wir von ihnen trinken.‹ Er nahm sie wieder in die Arme, und wir standen nebeneinander, das Kind zwischen uns. Ich war von ihr hypnotisiert und wie verwandelt, gebannt von jeder ihrer Bewegungen. Sie war kein Kind mehr, sie war ein Vampirkind. ›Louis wollte uns verlassene sagte Lestat und sah mich an und dann sie, ›er wollte von uns gehen, doch nun bleibt er. Weil er für dich sorgen und dich glücklich machen will. Du gehst doch nicht, Louis, nein?‹
›Du Schuft!‹ flüsterte ich. ›Du Teufel!‹
›Was sind das für Worte vor den Ohren deiner Tochter!‹ sagte er mit spöttischem Vorwurf. ›Ich bin nicht deine Tochter‹, sagte sie mit ihrem Silberstimmchen, ›ich bin Mamas Tochter.‹ ›Nein, Liebste, nicht mehr‹, sagte Lestat. Er blickte zum Fenster, und dann schloß er die Schlafzimmertür hinter uns und drehte den Schlüssel im Schloß. ›Du bist unsere Tochter, Louis’ und meine Tochter, verstehst du? Also, bei wem willst du schlafen? Bei Louis oder mir?‹ Er sah mich an und fuhr fort: ›Vielleicht solltest du bei Louis schlafen. Wenn nämlich ich müde bin… dann bin ich
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