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Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir

Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir

Titel: Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Einsamkeit und Schuld.
    ›Sie ist da‹, sagte Lestat. ›Deine Verwundete. Deine Tochter.‹
    ›Was soll das heißen?‹ fragte ich. »Wovon sprichst du?‹
    ›Du hast sie gerettete flüsterte er. ›Ich wußte es. Du hast das Fenster des Zimmers, in dem sie und ihre tote Mutter lagen, offengelassen, und Leute, die vorübergingen, haben sie hergebracht.‹
    ›Das Kind! Das kleine Mädchen!‹ keuchte ich. Aber schon führte er mich in einen großen Krankensaal mit vielen Betten, in denen Kinder unter ihren schmalen weißen Decken lagen. Am Ende des Saales saß eine Schwester an einem kleinen Tisch beim Licht einer Kerze. Wir schritten zwischen den Betten entlang. ›Hungernde Kinder, Waisen‹, sagte Lestat, ›deren Eltern an der Seuche gestorben sind.‹ Er blieb stehen, und ich sah das kleine Mädchen in seinem Bett liegen. Und dann kam der Mann, es war der Arzt, und flüsterte mit Lestat. Nebenan weinte jemand; die Schwester stand auf und ging hinüber.
    Lestat nahm Geld aus der Tasche und legte es ans Fußende des Bettes. Der Arzt beugte sich zu dem Kind hinunter, wickelte es fester in die Decke und sagte, wie froh er sei, daß wir gekommen wären, daß die meisten Waisenkinder seien, die mit den Schiffen angelangt waren, viele noch zu jung, um unter den Toten ihre Mutter herauszufinden. Er hielt Lestat für den Vater.
    Und dann riß Lestat mit Blitzesschnelle das Kind an sich und rannte aus dem Saal und dem Haus und durch die Straße; das weiße Bettuch lichtete vor seinem dunklen Mantel und Umhang, und als ich hinter im her eilte, schien es mir fast, als schwebe das helle Tuch durch die ^- Jacht, ohne daß es jemand hielt, wie ein großes Blatt, das vom Winde getrieben wird. Schließlich holte ich ihn auf der erleuchteten Place d’Armes ein. Die Kleine lag wachsbleich an seiner Schulter, ihre Wangen waren noch voll wie reife Pfirsiche, obschon sie schwach und dem Tode nahe war. Sie öffnete die Augen oder vielmehr die Lider glitten zurück; und hinter ihren langen Wimpern konnte ich das Weiße sehen. ›Lestat, was tust du?‹ rief ich. ›Wohin willst du mit ihr?‹ Aber ich wußte es nur zu gut. Er steuerte auf das Hotel zu, um sie auf unser Zimmer zu bringen.
    Dort waren die Toten so, wie wir sie zurückgelassen hatten, die eine ordentlich in den Sarg gebettet, als hätte ein Leichenbestatter sie zurechtgemacht, die andere auf dem Stuhl am Tisch. Lestat tat, als sähe er sie nicht, und ich beobachtete ihn fasziniert. Die Kerzen waren niedergebrannt, doch ich konnte im Mondschein sein wie Eis schimmerndes Profil sehen, als er das Kind auf ein Kissen legte. ›Komm, Louis‹, sagte er, ›du bist noch nicht gesättigt, ich weiß es.‹ Seine Stimme klang so ruhig und überzeugend wie schon den ganzen Abend, und er hielt meine Hand in der seinen, die warm und fest war. ›Schau her, Louis, wie lieb und rund sie aussieht, als könne selbst der Tod ihr nicht die Frische nehmen‹, sagte er. ›Der Wille zum Leben ist zu stark. Er kann vielleicht ihre kleinen Lippen und ihre prallen Händchen zu einer Skulptur formen, aber sie kann er nicht erbleichen lassen. Erinnerst du dich, wie du sie haben wolltest, als du sie zuerst in dem Zimmer gesehen hast?‹ Ich sträubte mich; ich wollte sie nicht töten, ich hatte es auch gestern nicht gewollt. Und dann erinnerte ich mich plötzlich, qualvoll hin und her gerissen, an zwei widersprüchliche Dinge: Ich mußte an den kräftigen Schlag ihres Herzens an meinem denken, und ich hungerte danach, hungerte so sehr, daß ich mich abwandte und aus dem Zimmer geeilt wäre, hätte Lestat mich nicht festgehalten; und zum anderen sah ich das Gesicht ihrer Mutter in dem schrecklichen Augenblick, als ich das Kind hatte fallen lassen und Lestat ins Zimmer getreten war. Doch jetzt verspottete er mich nicht, er verwirrte mich nur. ›Du willst sie doch, Louis‹, sagte er. ›Verstehst du nicht, wenn du sie einmal genommen hast, kannst du nehmen, wen immer du möchtest. Du wolltest sie gestern abend, doch du wurdest schwach, und deshalb ist sie nicht tot.‹ Ich fühlte, daß er recht hatte. Wieder fühlte ich die Wonne, sie an mich zu drücken, das kleine Herz schlagen zu hören. ›Sie ist zu stark für mich‹, sagte ich, ›ihr Herz würde - es würde nicht nachlassen.‹ ›Ist sie so stark?‹ fragte er lächelnd und zog mich heran. ›Nimm sie, Louis, ich weiß, es verlangt dich danach.‹ Und ich tat, was er wollte; ich trat dicht an das Bett und sah sie an. Ihre Brust hob

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