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Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir

Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir

Titel: Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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auf dem Tisch, und seine Augen füllten sich mit Tränen. ›So unschuldig!‹ sagte er sanft; dann hob er die Augen zur Decke, ballte die rechte Hand zur Faust und stöhnte: ›Sei verflucht, Gott! Sei verfluchte Die Wirtin bekreuzigte sich.
    ›Sehen Sie das hier?‹ fragte er mich jetzt und schob behutsam die Spitzen am Hals der jungen Frau beiseite, als scheue er sich, das erstarrende Fleisch zu berühren. An ihrer Kehle waren zwei winzige rote Einstiche, unverkennbar, wie ich sie schon Tausende Male gesehen hatte. Der Mann schlug die Hände vors Gesicht. ›Ich glaube, ich werde wahnsinnig!‹ rief er.
    ›Kommen Sie jetzt!‹ mahnte die Wirtin. Sie hielt ihn am Arm, als er sich sträubte, und wurde plötzlich rot im Gesicht.
    ›Lassen Sie ihn‹, sagte ich zu ihr. ›Ich werde mich seiner annehmen.‹
    Ihr Mund zog sich zusammen. ›Ich werfe euch alle hinaus, hinaus ins Dunkel, wenn ihr nicht aufhörte sagte sie. Sie schien selber dem Zusammenbruch nahe. Doch dann zog sie ihr Tuch enger um die Schultern und verließ das Zimmer. Die Männer, die sich an der Tür versammelt hatten, machten ihr den Weg frei.
    Der Engländer weinte. Ich begriff, was ich tun mußte, aber es war nicht nur, daß ich von ihm etwas Wichtiges erfahren wollte, worüber mein Herz in schweigender Erregung klopfte. Es war herzzerreißend, ihn in einem solchen Zustand zu sehen. Das Schicksal hatte mich zu gnadenlos zu ihm geführt.
    Und so bot ich an, bei ihm zu bleiben, holte zwei Stühle an den Tisch und schloß die Tür. Er setzte sich schwerfällig und blickte in die flackernde Kerzenflamme. Ich schloß die Tür, und die Wände schienen zurückzuweichen und der Schein der Kerze um sein gebeugtes Haupt heller zu werden. Er lehnte sich zurück gegen die Kredenz und wischte sich das Gesicht mit einem Taschentuch ab. Dann zog er eine Flasche in einem Lederfutteral aus der Tasche und bot sich mir an. Ich dankte und fragte: ›Wollen Sie mir nicht erzählen, was geschehen ist?‹
    Er nickte und sagte: › Vielleicht können Sie etwas Vernunft in dieses Dorf bringen. Sie sind Franzose, nicht wahr? Ich bin Engländer, wie Sie wissen.‹ Er drückte mir die Hand, ohne zu merken, wie kalt sie war, da der Alkohol ihn benebelte. Er erzählte, daß er Morgan heiße und mich ganz verzweifelt brauche, so wie er in seinem ganzen Leben noch keinen Menschen gebraucht hatte. Und als ich seine fieberheiße Hand hielt, tat ich etwas Seltsames: Ich sagte ihm meinen Namen, den ich noch nie jemandem verraten hatte. Doch er schien mich gar nicht zu hören, sondern starrte mit tränenfeuchten Augen auf seine tote Frau. Sein Gesicht hätte jedes Menschenkind gerührt. Er war an der Grenze dessen, was ein Mensch ertragen konnte.
    ›Es ist meine Schuld‹, sagte er. ›Ich habe sie hergebrachte Und er hob die Augenbrauen, als sei er selber erstaunt darüber.
    ›Nein‹, sagte ich schnell, ›Sie haben keine Schuld. Erzählen Sie mir, wer es getan hat.‹
    Doch er schien verwirrt, in seinen Gedanken verloren. Dann begann er stockend: ›Ich bin vorher nie aus England fort gewesen. Ich malte, müssen Sie wissen… als ob das alles jetzt noch so wichtig wäre … die Bilder, das Buch. Es kam mir alles so malerisch vor, so pittoreske Seine Augen schweiften durch das Zimmer und blieben wieder auf der toten Frau haften. Er sagte leise ›Emily!‹, und mir war, als hätte ich in etwas sehr Kostbares Einblick erhalten, etwas, das seinem Herzen teuer war.
    Nach und nach erfuhr ich dann die Geschichte. Eine Hochzeitsreise durch Deutschland und in dies Land hier - wohin immer die Postkutsche sie trug, wo immer Morgan Motive zum Malen fand. Sie waren in diese einsame Gegend geraten, weil Morgan von einer Klosterruine gehört hatte, die er malen wollte.
    Doch Morgan und Emily kamen nicht bis zum Kloster. Die Tragödie hatte sie schon erwartet. Es hatte sich herausgestellt, daß in diesem Teil des Landes keine Postkutschen mehr verkehrten, und Morgan ließ sich und seine Frau von einem Bauern mit dessen Wagen in das Dorf bringen. Am Nachmittag ihrer Ankunft schien der ganze Ort auf dem Weg zum außerhalb gelegenen Friedhof zu sein. Nachdem er das gesehen hatte, weigerte sich der Bauer, seinen Wagen zu verlassen, um sich die Sache näher zu betrachten.
    ›Es erschien mir wie eine Art Prozession‹, berichtete Morgan. ›Alle Leute trugen ihre Festtagskleider, einige hatten Blumen; und ich dachte, als wir vorbeifuhren, das müsse ich unbedingt sehen. Ich ließ den Mann halten

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