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Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir

Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir

Titel: Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Töten zu verschleiern. Es ging unter in den vielen Verbrechen, der Pest und anderen Seuchen, die dort alltäglich waren. Doch hier mußten wir umständliche Vorkehrungen treffen, um unbemerkt töten zu können. Denn dieses einfache Landvolk, das sich vor den belebten Straßen von New Orleans wahrscheinlich gefürchtet hätte, glaubte fest, daß die Toten einhergehen und das Blut der Lebenden trinken. Sie kannten unsere Namen: Vampire, Teufel. Und wir, die wir selbst eifrig auf das geringste Hörensagen erpicht waren, wollten unter keinen Umständen ins Gerede kommen.
    Wir reisten allein, bequem und schnell über Land und hörten uns abends in den Wirtshäusern die Gespräche der Bauern über Vampire an. Meine Tochter schlief friedlich an meiner Brust, und ich fand fast immer jemand, der genügend Deutsch oder sogar Französisch sprach, um mir ihre vertrauten Legenden zu erzählen.
    Doch dann kamen wir in das Dorf, das zum Wendepunkt unserer Reise werden sollte. Ich genoß nichts bei dieser Reise, weder die frische Luft noch die Kühle der Nächte. Noch heute durchfährt mich ein leiser Schauer, wenn ich davon erzähle. Wir hatten die Nacht in einem Bauernhaus verbracht und kamen nun an, unvorbereitet und bestürzt über den trostlosen Anblick, der sich uns bot. Es war noch früh, als wir eintrafen; die Fensterläden im Dorf waren noch nicht verriegelt, und es brannte noch keine Laterne vor dem Torweg des Wirtshauses. Vor den Türen hatte sich der Kehricht angesammelt, und noch anderes deutete darauf, daß etwas nicht stimmte: ein Kasten mit welken Blumen vor einem geschlossenen Laden; ein Faß, das scheinbar herrenlos im Hof des Wirtshauses hin und her rollte. Der Ort sah aus wie eine von der Pest heimgesuchte Stadt.
    Als ich Claudia neben dem Wagen absetzte, sah ich einen Lichtstrahl unter der Wirtshaustür. ›Setz deine Kapuze auf‹, sagte sie schnell. ›Sie kommen.‹ Ich hörte, wie der Riegel zurückgeschoben wurde, und eine Frau trat heraus. Zuerst sah ich nur das Licht hinter ihr in dem schmalen Durchgang, den sie frei ließ; dann schimmerte das Licht der Kutschlampen in ihren Augen.
    ›Ein Zimmer für die Nacht‹, sagte ich auf deutsch. ›Und jemand soll nach meinen Pferden sehen.‹
    ›Ja, die Nacht ist keine Zeit zu reisen…‹, erwiderte sie mit einer eigentümlichen, klanglosen Stimme. ›Und mit einem Kind…‹ Während sie sprach, erblickte ich andere Leute in dem Raum hinter ihr, konnte sie murmeln hören und sah ein Feuer flackern, an dem sie saßen. Es waren Bauern; nur ein einziger der Männer war so ähnlich gekleidet wie ich, in einen geschneiderten Rock mit Überwurf; doch seine Kleidung war vernachlässigt und abgetragen. Sein rotes Haar glänzte im Schein des Feuers. Ein Fremder, ein Reisender wie wir, und der einzige, der uns nicht musterte. Sein Kopf schwankte ein wenig, als sei er betrunken.
    ›Meine Tochter ist müde‹, sagte ich zu der Frau. ›Wir können sonst nirgends bleiben.‹ Ich nahm Claudia auf den Arm, und sie flüsterte mir zu: ›Louis, sieh das Kruzifix über der Tür und den Knoblauch!‹
    Ich hatte es noch nicht bemerkt, das kleine Kreuz mit dem Leichnam Christi in Bronze auf dem Holz, von Knoblauch umwunden, eine frische Girlande zusammen mit einer alten, in der die Knollen alt und welk waren. Die Augen der Frau folgten meinen Blicken, dann sah sie mich scharf an, und ich konnte sehen, wie erschöpft sie war, wie unordentlich ihr Haar, wie rot ihre Pupillen waren, wie die Hand zitterte, die das Tuch über ihrer Brust zusammenhielt. Als ich näher trat, riß sie die Tür ganz auf, wie wenn sie sich plötzlich entschlossen habe, uns einzulassen. Sie sprach ein Gebet, als ich an ihr vorbeiging, dessen bin ich sicher, obwohl ich die slawischen Worte nicht verstehen konnte.
    Der kleine Raum mit der niedrigen Balkendecke war voll von Menschen, Männern, Frauen und Kindern, die auf Bänken an den roh getäfelten Wänden und sogar auf dem Fußboden saßen. Es war, als habe sich das ganze Dorf hier versammelt. Ein Kind schlief auf dem Schoß seiner Mutter, ein anderes auf der Treppe. Und überall hingen Knoblauchgirlanden an Nägeln und Haken neben Kochtöpfen und Krügen. Das Feuer war die einzige Lichtquelle, und es warf verzerrende Schatten auf die reglosen Gesichter, die uns beobachteten. Keiner forderte uns zum Sitzen auf oder bot uns etwas an, und schließlich sagte die Wirtin auf deutsch, ich könne die Pferde in den Stall führen, wenn ich wollte; sie würde an

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