Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir
mich die Einsamkeit an diese Möglichkeit denken lassen, als ich dem Zauber von Babette Freniére verfallen war. Aber ich hielt es in mir verschlossen wie eine unreine Leidenschaft. Danach scheute ich vor menschlichem Leben zurück. Ich tötete nur Fremde. Und Morgan, der junge Engländer, war vor meiner tödlichen Umarmung so sicher, wie es Babette gewesen; beide hätten mir zu viel Leid verursacht. Das Leben im Tode - es war ungeheuerlich. Und so wandte ich mich ab, als Claudia mir die Frage stellte; ich wollte ihr keine Antwort geben. Doch so ungeduldig sie war, sie konnte mich nicht in dieser Stimmung sehen. Sie setzte sich zu mir und tröstete mich mit Händen und Augen, ganz meine liebende Tochter.
›Denk nicht mehr daran, Louis‹, sagte sie später, als wir uns in einem komfortablen Hotel in einem Vorort einlogiert hatten. Ich stand am Fenster und blickte auf das erleuchtete Wien hinab, neugierig auf diese Stadt, ihre Kulturschätze, ihr Leben und Treiben. ›Laß mich dein Gewissen beruhigen, obwohl ich nicht genau weiß, was das ist‹, flüsterte sie mir ins Ohr und streichelte mein Haar.
›Tu das, Claudia‹, gab ich zur Antwort. ›Beruhige es. Versprich mir, daß du nie wieder davon sprechen wirst, wie Vampire erschaffen werden.‹
›Ich will keine Waisen, solche wie wir sind‹, sagte sie, doch allzu schnell. Ich merkte, daß meine Worte, meine Gefühle sie verdrießlich stimmten. ›Ich möchte Antworten, Erkenntnisse^ setzte sie hinzu. ›Aber sage mir, Louis, woher weißt du, ob du es nicht schon getan hast, ohne es zu wissen?‹
Da war sie wieder, diese Dumpfheit im Kopf. Ich muß Claudia angesehen haben, als verstünde ich nicht die Bedeutung ihrer Worte. Ich strich ihr Haar zurück, streichelte mit den Fingerspitzen ihre langen Wimpern und blickte beiseite ins licht. Sie sollte schweigen und nur bei mir sein.
Aber sie fuhr fort: ›Was gehört schließlich dazu, diese Kreaturen zu machen? Diese vagabundierenden Ungeheuer? Wieviel Tropfen deines Blutes, mit Menschenblut vermischt… und was für ein Herz, um den ersten Angriff zu überleben?‹ Sie sprach weiter, ohne das schmerzliche Zucken in meinem Gesicht zu beachten: ›Diese blaßgesichtige Emily, dieser unglückliche Engländer… ihre Herzen taugten nichts, und die Todesangst hat sie ebenso umgebracht wie der Blutverlust. Die bloße Vorstellung hat sie getötet. Aber die Herzen, die standhielten? Bist du sicher, daß du nicht eine Legion von Ungeheuern in die Welt gesetzt hast, die sich von Zeit zu Zeit instinktiv und vergeblich bemüht haben, in deine Fußstapfen zu treten? Wie lang war die Lebensspanne dieser Waisen, die du zurückgelassen hast - hier einen Tag, dort eine Woche, ehe die Sonne sie zu Asche verbrannte oder ein sterbliches Opfer sie niederschlug?‹
›Hör auf!‹ bat ich. ›Wenn du wüßtest, wie lebhaft ich alles vor mir sehe, was du schilderst, würdest du es dir sparen. Ich sage dir, dergleichen ist niemals geschehen. Lestat trank mich leer bis an die Schwelle des Todes, um mich zu einem Vampir zu machen. Und gab mir mein Blut zurück, gemischt mit seinem. So wurde es gemacht.‹
Claudia blickte von mir weg, und dann auf ihre Hände. Ich glaubte, sie seufzen zu hören, doch ich war nicht sicher. Dann ließ sie die Augen über mich gleiten, langsam, von oben nach unten, ehe sie mich voll ansah. Sie lächelte und sagte sanft: ›Hab keine Angst vor meiner Phantasie. Schließlich bleibt die endgültige Entscheidung immer bei dir. Ist es nicht so?!‹ ›Ich verstehe nicht‹, sagte ich.
Sie lachte kühl und spöttisch. ›Kannst du es dir vorstellen?‹ fragte sie so leise, daß ich es kaum hörte. ›Ein Hexensabbat von Kindern - das wäre alles, was ich liefern könnte…‹ ›Claudia!‹ murmelte ich.
›Beruhige dich!‹ sagte sie. ›Ich sage dir, so sehr ich Lestat gehaßt habe…‹ Sie hielt inne. ›Ja…‹, flüsterte ich. ›Ja…‹
»So sehr ich ihn gehaßt habe - mit ihm waren wir - vollständig‹.
Ich antwortete: ›Nein, nur du warst vollständig… Weil du von Anfang an uns beide hattest, jeden an einer Seite.‹
Ich glaube, sie lächelte. Sie neigte den Kopf, doch ich sah, wie sich ihre Augen unter den Wimpern bewegten. Dann sagte sie: ›Ihr beide mir zur Seite… malst du es dir aus, so wie du dir alles ausmalst?‹
Eine Nacht, längst vergangen, war mir so deutlich, als sei sie Gegenwart, aber ich sprach nicht davon. Claudia war in dieser Nacht verzweifelt gewesen, war von Lestat
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