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Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir

Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir

Titel: Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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hinausrief: ›Ich begreife, ich beginne gerade, ich beginne gerade zu begreifen…‹
    ›Ist es so, wie du es haben wolltest?‹ fragte Claudia, vielleicht nur, um zu zeigen, daß sie mich nicht vergessen hatte; denn sie schwieg jetzt manchmal stundenlang - von Vampiren war nicht mehr die Rede. Doch irgend etwas stimmte nicht. Es war nicht die alte friedliche Heiterkeit, auch nicht die Schwermut, die aus der Erinnerung kommt. Es war eine brütende Stimmung, eine schwelende Unzufriedenheit. Und wenn es auch aus ihren Augen verschwand, sobald ich sie ansprach, schien sich doch Unwille unter der Oberfläche zu sammeln.
    Ich antwortete: ›Ach, du weißt ja, wie ich es haben wollte. Eine Dachstube in der Nähe der Sorbonne, nicht zu weit von der Rue Saint-Michel. Aber in erster Linie wollte ich es haben, wie du es dir gewünscht hast.‹ Und ich konnte sehen, wie sie sich erwärmte; doch sie schaute an mir vorbei, als ob sie sagen wollte: ›Du hast kein Heilmittel; komm nicht zu nahe heran, frage mich nicht, was ich dich frage - bist du zufrieden?‹
    Mein Gedächtnis ist zu klar, zu scharf; die Dinge sollten sich eigentlich abschleifen, und was ungelöst ist, sollte vergessen werden. Und so sind manche Szenen meinem Herzen nahe geblieben wie Bilder in Medaillons, aber ungeheuerliche Bilder, die kein Künstler malen, keine Kamera erfassen könnte; und immer wieder sah ich Claudia am Klavier stehen in jener letzten Nacht, als Lestat spielte, sah ihr Gesicht sich verziehen und zu einer Maske werden, als er sie verspottete. Mehr Aufmerksamkeit hätte ihm vielleicht das Leben gerettet - wenn er überhaupt tot war.
    Irgend etwas sammelte sich in Claudia an und zeigte sich allmählich und unbewußt an diesem und jenem. Sie hatte eine neue Leidenschaft für Ringe und Armbänder, die Kinder nicht zu tragen pflegen. Ihr eleganter, damenhafter Gang war nicht der eines Kindes; und oft betrat sie, ohne auf mich zu warten, kleine Boutiques und zeigte auf ein Parfüm oder ein Paar Handschuhe, die sie kaufte und selber bezahlte. Ich war immer in der Nähe und stets mit einem unguten Gefühl nicht weil ich etwas für sie in dieser großen Stadt befürchtete, sondern weil ich sie selber fürchtete. Sie war immer für ihre Opfer das ›verlorene Kind‹ gewesen, das Waisenkind, und nun schien es, sie sei etwas anderes, etwas Böses und Schockierendes für die Vorübergehenden. Aber das spielte sich oft im geheimen ab, wenn ich für eine Stunde allein war und die Steinfiguren von Notre-Dame betrachtete oder am Rande eines Parks im Wagen auf Claudia wartete.
    Und eines Nachts, als ich in dem üppigen Hotelbett erwachte, weil mich das Buch drückte, in dem ich gelesen und das vom Kissen geglitten war, eines Nachts war sie verschwunden. Ich wagte nicht zu fragen, ob man sie gesehen hatte - wir besaßen für das Personal keinen Namen. Ich suchte sie auf den Korridoren und in den Seitenfluren, sogar im Ballsaal, und eine unerklärliche Angst überfiel mich bei dem Gedanken, daß sie dort allein sein könne. Schließlich sah ich sie durch die Seitentür der Halle kommen, das Haar unter dem Hutrand glitzernd von einem leichten Regen, wie ein mutwilliges Kind, das fortgelaufen war und zurückkehrt; und die Gesichter der Herren und Damen erhellten sich verzückt, als sie die große Treppe hinaufstieg und an mir vorüberging, als wenn sie mich überhaupt nicht gesehen hätte.
    Ich schloß die Tür hinter mir, während sie ihren Umhang abnahm und die Tropfen abschüttelte. Mir wurde merklich leichter, als ich die kindliche Kleidung sah und etwas wundervoll Tröstliches in ihren Armen, eine kleine Porzellanpuppe. Noch sagte sie nichts zu mir, sie spielte nur mit der Puppe, deren winzige Füße wie ein Glöckchen klingeln konnten. ›Es ist eine Puppendame‹, sagte sie schließlich und sah zu mir auf. ›Siehst du es? Eine Puppendame.‹
    ›Ich sehe es‹, sagte ich.
    Sie fuhr fort: ›Die Frau in einem Laden hat sie für mich gemacht. Sie macht sonst Puppenkinder, den ganzen Laden hat sie davon voll, bis ich zu ihr sagte: Ich möchte eine Puppendame.‹
    Es klang wie blanker Hohn. Sie hatte sich hingesetzt, strich die feuchten Locken aus der Stirn und war mit der Puppe beschäftigt. ›Weißt du, warum die Frau sie für mich gemacht hat?‹ fragte sie. Ich wünschte in dem Moment, es hätte Schatten in diesem allzu hellen Zimmer gegeben, damit ich nicht dasitzen mußte wie auf einer erleuchteten Bühne und sie vor mir sehen, vervielfältigt von

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