Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir

Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir

Titel: Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
Vom Netzwerk:
weggelaufen, der sie gedrängt hatte, eine Frau auf der St raße zu töten. Sie war davor zurückgeschreckt - ich bin sicher, die Frau sah ihrer Mutter ähnlich. Schließlich fand ich Claudia im Kleiderschrank, zwischen Anzügen und Mänteln, ihre Puppe fest an sich gedrückt. Und ich trug sie zu Bett, saß neben ihr und sang ihr etwas vor, und sie starrte mich an, ohne die Puppe loszulassen, als versuche sie blindlings und geheimnisvoll eine Pein zu lindem, die sie selber nicht verstand. Kannst du es dir vorstellen, diese gemütvolle Häuslichkeit, mit abgeschirmten Lampen, und der Vampirvater singt die Vampirtochter in den Schlaf? Nur die Puppe hatte ein menschliches Gesicht, nur die Puppe.
    Jetzt sagte Claudia plötzlich: ›Aber wir müssen von hier fort‹, als habe sich der Gedanke gerade jetzt mit besonderer Dringlichkeit in ihr geformt. ›Fort von den Straßen, die hinter uns liegen, fort von dem, was ich in deinen Augen sehe, weil ich Gedanken ausspreche, die für mich nichts weiter als einfache Überlegungen sind…‹
    ›Verzeih mir‹, sagte ich so sanft wie möglich und fand zögernd aus der alten Zeit und dem erschreckten Vampirkind in die Gegenwart zurück. Und Lestat, wo war Lestat? Ein Zündholz, im Nebenzimmer angestrichen, ein Schatten, der auf einmal lebendig wird, so wie Licht und Dunkelheit sich beleben, wo vorher nur Finsternis war. ›Nein, verzeih du mir‹, sagte sie jetzt zu mir in unserem kleinen Hotelzimmer. ›Nein, wir vergeben einander. Aber ihm vergeben wir nicht; und ohne ihn kannst du sehen, wie es zwischen uns steht!‹
    »Nur weil wir müde sind, und die Dinge trostlos…‹, sagte ich zu ihr und zu mir, denn es war niemand sonst in der Welt, zu dem ich sprechen konnte.
    ›O ja: Und das muß ein Ende haben. Weißt du, ich beginne zu verstehen, daß wir alles von Anfang an falsch gemacht haben. Wir müssen uns Wien versagen. Wir brauchen unsere Sprache, unsere Landsleute. Ich möchte direkt nach Paris.«

 
     
     
Dritter Teil

 
     
    D chon das Wort ›Paris‹ versetzte mich in einen Freudenrausch, der ungewöhnlich für mich war; ich empfand ein Gefühl der Erleichterung und des Wohlbefindens, das mich selber erstaunte - nicht nur, weil ich es empfinden konnte, sondern auch, weil ich es beinahe vergessen hatte.
    Ich weiß nicht, ob du mich verstehst; ich kann es jetzt nicht so ausdrücken, denn was Paris heute für mich ist, unterscheidet sich sehr von dem, was es in jenen Tagen, zu jener Stunde für mich war; aber immer noch, sogar jetzt, fühle ich etwas, das der damaligen Glückseligkeit ähnelt. Und ich habe heute mehr Grund denn je zu betonen, daß Glück nicht das ist, was ich jemals kennenlernen will oder kennenzulernen verdiene. Ich liebe das Glück nicht sonderlich. Aber das Wort Paris gibt mir ein Gefühl davon.
    Sterbliche Schönheit ist mir oft schmerzlich, und sterbliche Größe kann mich mit jener Sehnsucht erfüllen, die ich so hoffnungslos auf dem Mittelländischen Meer empfand. Aber Paris zog mich an sein Herz, so daß ich mich selber ganz vergaß das verdammte und umherirrende übernatürliche Geschöpf vergaß, das in sterbliche Haut und sterbliche Kleidung vernarrt war. Paris erfreute, belohnte und überwältigte mehr als jede andere Verheißung.
    Paris war ja die Mutter von New Orleans, das mußt du verstehen; es hatte New Orleans das Leben geschenkt, seine ersten Bewohner gegeben, und es war das, was New Orleans seit langem gern hätte sein wollen. Aber New Orleans, so schön es war und so lebendig, es war erschreckend zerbrechlich. Es behielt immer etwas Wildes und Primitives, von dem das malerische und verfeinerte Leben von innen und außen gefährdet wurde. Da war kein Zoll der holzgepflasterten Straßen, kein Ziegelstein der spanischen Häuser, der nicht der Wildnis abgerungen gewesen wäre, welche die Stadt umgab und ständig drohte, sie wieder zu verschlingen. Wirbelstürme, Überschwemmungen, das Sumpffieber und die Pest - und nicht zuletzt das feuchtwarme Klima von Louisiana selbst - bedrohten unablässig jede Stein- oder Holzfassade, so daß uns New Orleans stets wie ein Traum seiner heftig kämpfenden Bevölkerung erschien, ein Traum, der in jeder Sekunde von einem hartnäckigen, wenn auch unbewußten, gemeinsamen Lebenswillen lebendig gehalten wurde.
    Aber Paris - Paris war ein Universum, ganz und gar auf sich gestellt, von der Geschichte geformt und geheiligt; und so sah ich es damals, im Zeitalter Napoleons III., mit seinen hohen Häusern

Weitere Kostenlose Bücher