Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis
schlüpft in diese Verkleidung«, sagte ich. »Nehmt die Gewänder eurer Opfer, nehmt das Geld aus ihren Taschen. Und dann könnt ihr euch, wie ich, unter den Sterblichen bewegen. Mit der Zeit werdet ihr genug Reichtum angehäuft haben, um eure eigene kleine Festung nebst Geheimfriedhof zu erstehen.
Dann werdet ihr nicht mehr Bettler oder Gespenster sein.«
Verzweiflung malte sich auf ihren Gesichtern. Dennoch hörten sie aufmerksam zu.
»Aber unsere Haut, der Klang unserer Stimmen…«, sagte die schwarzäugige Frau.
»Ihr könnt Sterbliche an der Nase herumführen. Es ist kinderleicht. Braucht nur ein bißchen Übung.«
»Aber wie sollen wir anfangen?« fragte der Junge schwerfällig. »Was für Sterbliche sollen wir darstellen?«
»Sucht es euch selbst aus!« sagte ich. »Seht euch um. Verkleidet euch als Zigeuner, das sollte nicht allzu schwierig sein - oder besser noch als Gaukler.« Ich warf einen Blick auf den lichterglänzenden Boulevard.
»Gaukler!« sagte die schwarzäugige Frau freudig erregt. »Ja, Komödianten. Straßenschauspieler. Akrobaten. Werdet Akrobaten. Ihr habt sie doch schon da draußen gesehen. Ihr könnt euch eure weißen Gesichter zuschminken, und eure bizarre Gestik und Mimik wird jedermann für selbstverständlich halten. Ich kann mir keine perfektere Verkleidung vorstellen. Auf den Boulevards könnt ihr alle Typen sterblicher Stadtbewohner studieren. Ihr werdet alles lernen, was ihr wissen müßt.«
Sie lachte und sah die anderen an. Der Mann war in Gedanken versunken, die andere Frau grübelte nach, der Junge war sich nicht sicher.
»Mit euren Fähigkeiten könnt ihr ohne weiteres Akrobaten und Jongleure werden«, sagte ich. »Das reinste Kinderspiel für euch. Tausende könnten euch sehen, ohne die geringste Ahnung zu haben, wer ihr wirklich seid.«
Ich nahm eine Handvoll Goldkronen aus meiner Tasche und gab sie der schwarzäugigen Frau. Sie nahm sie mit beiden Händen und starrte sie an, als wären sie schiere Glut. Dann blickte sie auf, und in ihren Augen erkannte ich mich selbst wieder, wie ich auf Renauds Bühne jene grausigen Kunststücke darbot, die die Zuschauer auf die Straße getrieben hatten. Aber noch ein anderer Gedanke beschäftigte sie. Sie wußte, daß das Theater leer stand, daß ich die Truppe fortgeschickt hatte.
Und eine Sekunde lang gab ich mich ihren Erwägungen hin, ließ den Schmerz mit doppelter Kraft in mir aufwallen, gespannt, ob die anderen es merkten. Warum eigentlich nicht?
»Ach bitte«, sagte die Hübsche. Sie berührte meine Hand mit ihren kalten, weißen Fingern. »Laß uns in das Theater! Bitte.« Sie drehte sich um und blickte auf den Bühneneingang.
Laß sie halt rein. Laß sie auf meinem Grab tanzen.
Vielleicht waren ja noch die alten Kostüme da, die ausrangierten Siebensachen einer Truppe, die überreichlich Geld hatte, sich neuen Putz zu kaufen. Alte Schminktöpfe. Tausend Schätze, zurückgelassen in der Hast des Aufbruchs.
Ich war wie betäubt, unfähig, meine Gedanken zu ordnen, nicht willens, all die Ereignisse vergangener Tage wieder aufleben zu lassen. »Na schön «, sagte ich schließlich und blickte zur Seite, als hätte mich irgendeine Kleinigkeit abgelenkt. »Geht rein, wenn ihr wollt. Ihr, könnt alles benutzen, was ihr vorfindet.«
Sie kam noch näher und preßte plötzlich ihre Lippen auf meinen Handrücken. »Das werden wir dir nie vergessen«, sagte sie. »Ich heiße Eleni, dieser Knabe ist Laurent, der Mann hier ist Felix und die Frau an seiner Seite Eugenie. Wenn Armand dich angreift, greift er uns an.«
»Ich wünsche euch viel Erfolg«, sagte ich und meinte es eigenartigerweise ernst. Ich fragte mich, ob sie mit all ihren Pfaden und Ritualen der Finsternis diesen Alptraum, in dem wir alle gefangen waren, wirklich gewollt hatten. Wie ich waren sie da mehr oder weniger hineingeschlittert. Wir waren jetzt alle Kinder der Finsternis, auf Gedeih und Verderb.
»Aber seht euch vor«, warnte ich sie. »Bringt niemals eure Opfer hierher, und tötet niemanden hier in der Nähe. Paßt auf und bringt euer Versteck nicht in Gefahr.«
Es war schon drei Uhr, als ich über die Brücke zur Ile St.-Louis ritt. Ich hatte genug Zeit verschwendet. Und jetzt mußte ich die Geige auftreiben.
Aber kaum hatte ich Nickis Haus erreicht, wußte ich, daß irgend etwas nicht stimmte. Die Fenster hatten keine Vorhänge mehr, und dennoch erstrahlte das Haus, als hätte man drinnen Hunderte von Kerzen entzündet. Äußerst seltsam. Roget
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