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Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis

Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis

Titel: Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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rasen auf, nachdem die Stadt weit hinter mir lag.
    Die Glocken der Hölle läuteten.
    Der Turm hob sich gegen den ersten Morgendämmer ab. Mein kleiner Orden hatte sich bereits in seiner Gruft zur Ruhe begeben.
    So verzweifelt gerne ich sie gesehen, Gabrielles Hand berührt hätte, ich verkniff es mir, ihre Gräber zu öffnen.
    Ich stieg allein zu den Zinnen, um das Wunder des aufbrennenden Morgens zu betrachten, dessen volle Entfaltung ich nie wieder würde erleben können. Die Glocken der Hölle läuteten, meine heimliche Musik…
    Aber noch ein anderer Klang drang zu mir, als ich die Treppe emporstieg. Ein leiser, lieblicher Gesang aus unendlich weiter Feme.
    Ich hatte einmal vor vielen Jahren einen Bauernjungen singen hören, der eine Straße außerhalb des Dorfes entlangging. Er wußte nicht, daß ihm jemand zuhörte. Er dachte, er sei ganz allein in der weiten Welt, und seine Stimme war von überirdischer Reinheit und Schönheit. Die Worte seines alten Liedes tun nichts zur Sache.
    Genau diese Stimme rief mich jetzt an. Die einsame Stimme, die sich über alle Meilen erhob, die uns trennten.
    Wieder hatte ich Angst. Dennoch öffnete ich die Tür am Ende der Treppe und trat auf das steinerne Dach. Eine seidene Morgenbrise, traumverloren das letzte Glimmen der Sterne. Nebel stieg über mir auf, verlor sich in unendlichen Höhen, spülte die Sterne fort.
    Die ferne Stimme wurde deutlicher, drang in mich, wie ein Lichtstrahl die Dunkelheit durchdringt, und sang: Komm zu mir, alles wird dir vergeben, wenn du nur zu mir kommst. Ich bin einsamer als je zuvor.
    Und mit der Stimme stellte sich das Gefühl grenzenloser Möglichkeiten ein und wundervollster Aussichten, und gepaart damit war das Traumbild von Armand im geöffneten Portal von Notre Dame. Zeit und Raum waren aufgehoben. Er erhob sich in dem fahlen Licht vor dem Hauptaltar, eine geschmeidige Gestalt in königlichen Lumpen, strahlend noch in seinem Verschwinden und nichts als Langmut in seinen Augen.
    Ich glaube, ich kniete nieder und lehnte meinen Kopf gegen die schroffen Steine. Der Mond löste sich wie ein Phantom auf, und ich mußte die Augen vor der schmerzenden Sonne schließen.
    Aber ich spürte eine ekstatische Erregung. Es war, als hätte die Stimme an meine verborgensten Seelenkräfte gerührt, meinem Geist alle Herrlichkeit der Zauber der Finsternis offenbart, ohne daß Blut fließen mußte.
    Was willst du von mir, wollte ich wieder sagen. Wie ist solches Versöhnen möglich, wenn eben erst noch nur Haß und Groll regierten? Dein Orden vernichtet. Unvorstellbare Greuel… Ich wollte es alles noch einmal sagen.
    Aber sowenig wie zuvor vermochte ich die Worte zu formen. Und ich wußte, wenn ich es diesmal zu versuchen wagte, würde das Glücksgefühl hinwegschmelzen und mich einer schlimmeren Qual aussetzen, als es der Durst nach Blut war.
    Doch obwohl ich schwieg, waberten in mir seltsame Bilder und Gedanken auf, die nicht die meinen waren.
    Ich sah mich im Geiste in die Gruft steigen und die starren Körper meiner beiden geliebten Monster hochheben. Ich sah im Geiste, wie ich sie auf das Turmdach trug, um sie dort in ihrer Hilflosigkeit der aufgehenden Sonne auszusetzen. Vergeblich läuteten ihnen die Glocken der Hölle. Und die Sonne bemächtigte sich ihrer und verwandelte sie in verkohlte Strünke mit Menschenhaar.
    Mein Geist schreckte zurück, schreckte in herzbrechender Enttäuschung zurück. »Schweig, Kind«, flüsterte ich. Schmerzende Enttäuschung, verwehender Traum … »Wie töricht bist du nur, zu glauben, daß ich zu derlei fähig wäre.«
    Die Stimme verdämmerte, zog sich von mir zurück. Und ich fühlte meine Einsamkeit in jeder Pore meiner Haut. Es war, als hätte man mich auf ewig aller Hüllen beraubt, als hätte ich für immer so nackt und elend bleiben müssen wie jetzt.
    »Verrat!« rief ich. »Doch ach, wie traurig, wie vertan. Wie kannst du nur sagen, daß du mich begehrst?«
    Fort war es. Vollkommen fort. Und verzweifelt wünschte ich es zurück, auch wenn es mit mir streiten wollte. Ich sehnte mich nach diesem Gefühl ungeahnter Möglichkeiten.
    Und ich sah sein Gesicht in Notre Dame, knabenhaft und fast lieblich wie das Gesicht eines Heiligen von da Vinci. Und das Gefühl eines schrecklichen Verhängnisses bemächtigte sich meiner.

6
    Nachdem sich Gabrielle erhoben hatte, zog ich sie fort von -L N Nicki, um ihr in der Stille des Waldes alles zu erzählen, was sich in der vergangenen Nacht zugetragen hatte. Ich erzählte

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