Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis
alle wie Marionetten, auf mechanisch-zuckende Weise, mit ausdruckslosen, hölzernen Gesichtern.
Ein Freudenschauer durchfuhr mich, als ob ich plötzlich im Hitzeschwall der Musik wieder atmen konnte, und ich stöhnte vor Vergnügen, als ich ihnen zusah, wie sie ihre Beine emporwarfen und an ihren unsichtbaren Schnüren wirbelten.
Jetzt spielte er ihnen auf, schritt der Bühne entgegen, sprang über die rauchende Mulde der Rampenlichter und landete in ihrer Mitte. Das Licht glitt von dem Instrument, von seinem Gesicht. Hohn und Spott mischten sich in die endlose Melodie, Synkopen durchtaumelten das Lied, verliehen ihm einen verbitterten und zugleich noch lieblicheren Charakter.
Die steifgliedrigen Puppen ruckten um ihn herum, schlurften und tänzelten über die Bodenbretter. Mit gespreizten Fingern und schaukelnden Köpfen drehten sie sich hopsend, bis Nickis Melodie in qualvolle Trauer verfiel, und schon lösten sie sich aus ihrer Starre, und ihr Tanz wurde geschmeidig und langsam und melancholisch.
Es war, als seien sie seinen Geisteskräften hörig, als tanzten sie nicht nur zu seiner Musik, sondern auch zu seinen Gedanken, und nun tanzte auch er, während er weiterspielte und wieder schnellere Rhythmen anschlug, und er wurde der Dorfgeiger am Freudenfeuer, und sie wurden zwei ländliche Liebespärchen, die fröhlich umhersprangen, und die Röcke der Frauen bauschten sich, und die Männer beugten die Knie und hoben die Frauen empor, und sie alle nahmen Posen zärtlichster Liebe ein.
Erstarrt sah ich dem Schauspiel zu: die übernatürlichen Tänzer, der Monstergeiger, Gliedmaßen, die sich in menschenfremder, aufreizender Langsamkeit und Grazie bewegten. Die Musik war wie ein Feuer, das uns alle verschlang.
Jetzt kündete sie aufheulend von Schmerz, von Grauen, vom Auflehnen der Seele gegen die ganze Welt. Und wieder setzten sie es um, quälend verzerrte Gesichter wie die Maske der Tragödie, und ich wußte, ich würde weinen, wenn ich mich nicht abwandte.
Ich wollte nichts mehr sehen oder hören. Nicki wiegte sich im Takt, und die Geige war ein Raubtier, das er nicht mehr unter Kontrolle hatte. Er traktierte die Saiten mit kurzen, harten Bogenhieben, und die Tänzer zogen vor und hinter ihm vorbei, umarmten ihn und hielten ihn plötzlich gefangen, als er seine Hände in die Höhe warf und die Geige hoch über seinem Kopf schwang. Und ein lautes, durchdringendes Gelächter brach aus ihm hervor, und er schüttelte sich am ganzen Körper, und dann neigte er seinen Kopf und heftete seinen Blick auf mich und schrie aus voller Brust:
»ICH ÜBERGEBE EUCH DAS THEATER DER VAMPIRE! DAS THEATER DER VAMPIRE! DAS GRÖSSTE SCHAUSPIEL AUF DEM BOULEVARD!«
Die anderen starrten ihn verblüfft an. Dennoch applaudierten sie ihm, vollführten Luftsprünge, stießen Freudenschreie aus. Sie warfen ihm die Arme um den Hals, küßten ihn ab. Und sie tanzten um ihn herum und drehten ihn im Kreis. Das Gelächter brauste auf, sprudelte aus ihnen hervor, als er sie seinerseits umarmte und ihre Küsse erwiderte, und mit ihren langen, rosa Zungen leckten sie ihm den Blutschweiß vom Gesicht.
»Das Theater der Vampire!« Sie ließen von ihm ab und grölten einem imaginären Publikum und der ganzen Welt zu. Sie verbeugten sich in Richtung der Rampenlichter, und jauchzend sprangen sie bis zu den Dachsparren, um sich dann zurück auf die vibrierende Bühne fallen zu lassen.
Die Musik war nun vollständig verebbt, war dieser Kakophonie aus Schreien, Stampfen und Gelächter gewichen.
Ich kann mich nicht erinnern, daß ich mich von ihnen abgewandt hätte und weggegangen wäre. Aber ich muß es wohl getan haben, denn plötzlich saß ich an meinem kleinen Schminktisch, den Kopf gegen den kühlen Spiegel gelehnt, und Gabrielle war da.
Mein Atem ging röchelnd, ein Geräusch, das mir Sorgen machte. Ich sah die Perücke, die ich auf der Bühne getragen hatte, den Pappschild, und all dies wühlte mein Innerstes auf. Ich war am Ersticken. Ich war unfähig, meine Gedanken zu sammeln.
Dann erschien Nicki in der Tür. Er stieß Gabrielle mit ungewöhnlicher Heftigkeit zur Seite und wies auf mich.
»Nun, wie gefällt dir das, mein Schutzherr und Gönner?« fragte er, während er näherkam. Die Worte sprudelten nur so aus ihm hervor. »Bewunderst du nicht diese Brillanz, diese Perfektion? Möchtest du uns nicht das Theater der Vampire von den Brosamen stiften, die so reichlich von deinem Tische fallen?«
Von einem Stummen hatte er sich in einen
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