Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis
gewesen. Dennoch würde es nie so werden können, wie er es sich vorstellte. Er würde keine Macht über uns ausüben oder einen Keil zwischen Gabrielle und mich treiben können.
Gleichwohl fragte ich mich, ob er wirklich wußte, was er da verlangte? War es möglich, daß er seinen unschuldigen Worten Glauben schenkte?
Ohne etwas zu sagen, ohne seine Zustimmung einzuholen, führte ich ihn zu der Kaminbank zurück. Ich witterte wieder Gefahr, schreckliche Gefahr. Aber das war ziemlich egal. Er mußte jetzt bei uns bleiben.
Gabrielle hielt murmelnde Selbstgespräche. Sie ging hin und her und hatte offenbar vergessen, daß wir auch noch da waren.
Armand ließ sie nicht aus den Augen, und als sie sich recht plötzlich und unerwartet nach ihm umdrehte, erhob sie ihre Stimme.
»Du kommst zu ihm und sagst, >Nimm mich mit.< Du sagst, >Liebe mich<, und du ergehst dich in vagen Andeutungen über Geheimnisse und höheres Wissen, aber außer Lügen rückst du nichts raus.«
»Ich habe bewiesen, daß ich alles zu verstehen weiß«, antwortete er leise murmelnd.
»Nein, du hast nur ein paar Tricks vorgeführt«, erwiderte sie. »Du hast Bilder entworfen. Und ziemlich alberne Bilder. Wie schon immer. Du lockst Lestat mit allerlei Blendwerk ins Palais, nur um über ihn herzufallen. Und hier, in einer Art Kampfpause, hast du nichts Besseres zu tun, als Zwietracht zwischen uns zu säen…«
»Zugegeben, ich habe Blendwerk eingesetzt«, antwortete er. »Aber was ich hier gesagt habe, ist wahr. Schon jetzt verachtest du deinen Sohn wegen seines Hangs zu Sterblichen, seines Bedürfnisses, sich dauernd bei ihnen aufzuhalten, seiner Nachgiebigkeit dem Geiger gegenüber.
Du wußtest, daß die Zauber der Finsternis den Geist des Geigers verwirren und ihn schließlich vernichten würden. Du willst frei sein, frei von all den Kindern der Finsternis. Das kannst du mir nicht verheimlichen.«
»Ach, du bist derart naiv«, sagte sie. »Du siehst, ohne etwas zu sehen. Wie viele sterbliche Jahre hast du gelebt? Und kannst du dich überhaupt noch an irgend etwas aus dieser Zeit erinnern? Alles, was du jemals empfunden hast, kann nicht die Gefühle für meinen Sohn aufwiegen. Ich habe ihn geliebt, wie ich kein anderes Wesen der Schöpfung geliebt habe. In meiner Einsamkeit bedeutet mir mein Sohn alles. Wie ist es möglich, daß du dies nicht verstehst?«
»Du verstehst nichts«, sagte er ebenso sanftmütig. »Wenn du jemals wahre Sehnsucht nach irgendwem empfunden hättest, wüßtest du, daß deine Gefühle für deinen Sohn rein nichts sind.«
»Das ist doch alles sinnloses Geschwätz«, sagte ich.
»Nein«, antwortete sie ihm unbeirrt. »Mein Sohn und ich sind uns in mehr als einer Beziehung verwandt. In fünfzig Lebensjahren habe ich niemanden gekannt, der so stark ist wie ich, außer meinen Sohn. Und was uns trennt, können wir jederzeit kitten. Aber wie können wir dich zu einem der Unseren machen, wenn du Gefühle, Empfindungen nur wie simple Gebrauchsgegenstände benutzt?! Oder anders ausgedrückt: Was kannst du uns von dir selbst bieten, damit wir dich wollen sollten?«
»Meine lenkende Hand braucht ihr«, antwortete er. »Ihr steht erst am Anfang eures Abenteuers, und ihr verfügt über keinerlei Glauben, der euch stützen könnte. Ihr könnt ohne einen Kundigen nicht überleben… «
»Millionen leben ohne Glauben oder Führung. Nur du kommst ohne diese Dinge nicht aus«, sagte sie.
Er strahlte Schmerz aus. Leid. Aber sie fuhr mit fester, ausdrucksloser Stimme fort, als würde sie einen Monolog aufsagen.
»Ich habe da noch ein paar Fragen. Es gibt Dinge, die ich wissen muß. Ich kann nicht ohne grundsätzliche Überzeugungen leben, was aber nichts mit dem alten Glauben an Götter oder Teufel zu tun hat. Ich möchte beispielsweise wissen, warum es Schönheit gibt, warum die Natur sie immer wieder gebiert, und was das Glied zwischen dem Anblick der See oder einem Gewitter und den Gefühlen ist, die derlei in uns auslöst? Wenn Gott nicht existiert, wenn diese Dinge nicht Bestandteil eines sinnstiftenden Systems sind, warum sind sie uns dann dennoch von solch symbolischer Kraft? Lestat nennt das den Wilden Garten, aber mir genügt das nicht. Und ich muß gestehen, daß das, diese wahnwitzige Wißbegierde oder wie man das nennen will, mich von meinen menschlichen Opfern forttreibt. Sie treibt mich ins offene Land, fort von jeglichem Menschenwerk. Und vielleicht wird sie mich auch von meinem Sohn forttreiben, der allem
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