Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis
um einen Zauber, der seinen Ursprung im alten Ägypten hatte? Wie hätten die Kinder der Finsternis derlei vergessen können? Vielleicht war die Anspielung auf Typhon, den Mörder seines Bruders, ja auch nur eine poetische Wendung des venezianischen Meisters gewesen.
Und so ging ich mit meinem Meißel in die Nacht hinaus und schrieb meine Fragen an Marius auf Steine, die älter waren als wir beide zusammen. Marius war für mich schon so weit Wirklichkeit geworden, daß wir miteinander sprachen, so wie es Nicki und ich einst getan hatten. Er war mein Vertrauter, den ich teilhaben ließ an meiner erhabenen Verwirrung über alle Wunder und Rätsel der Welt.
Doch während ich meine Studien vertiefte und sich mein Horizont erweiterte, begann ich allmählich zu erahnen, was Ewigkeit wirklich bedeutete. Ich war allein unter Menschen, und auch meine Botschaften an Marius konnten nicht verhindern, daß ich mir meiner Monstrosität so bewußt war wie damals in jenen ersten Nächten in Paris. Schließlich war Marius ja nicht wirklich da.
Und Gabrielle auch nicht.
Fast von Anfang an hatten sich Armands Prophezeiungen erfüllt.
2
Wir hatten noch nicht einmal die französische Grenze überquert, als Gabrielle die Reise unterbrach, um für einige Nächte zu verschwinden. In Wien blieb sie oft mehr als zwei Wochen fort, und später, als ich mich in dem Palazzo in Venedig niedergelassen hatte, setzte sie sich monatelang ab. Während meines ersten Romaufenthalts tauchte sie für ein halbes Jahr unter. Und nachdem sie mich in Neapel verlassen hatte, kehrte ich ohne sie nach Venedig zurück, und verärgert überließ ich es ihr, allein nach Venetien zurückzufinden, was ihr auch gelang.
Natürlich zog es sie in die ländlichen Gegenden, in die Wälder und Gebirge oder auf unbewohnte Inseln. Und sie kam dann immer derart ramponiert zurück ausgetretene Schuhe, zerrissene Kleider, hoffnungslos verfilztes Haar -, daß sie einen ebenso furchterregenden Anblick bot wie die zerlumpten Mitglieder des alten Pariser Ordens. Dann durchstreifte sie in ihrer verdreckten Kleidung meine Räumlichkeiten und starrte auf die Risse im Verputz oder auf das Licht, das sich verzerrt in den handgeblasenen Fensterscheiben spiegelte.
Warum sollten Unsterbliche über Zeitungen hocken, pflegte sie zu fragen, oder in Palästen wohnen? Oder Gold mit sich herumtragen? Oder Briefe an eine sterbliche, zurückgelassene Familie schreiben?
Mit unheimlicher, gedämpfter Stimme erzählte sie dann von Klippen, die sie erklommen, von Schneewehen, durch die sie gestolpert war, von Höhlen voller rätselhafter Zeichen und vorzeitlicher Fossilien.
Und so unvermittelt, wie sie gekommen war, verschwand sie dann wieder, und ich hielt Ausschau nach ihr und wartete auf sie - und wenn sie endlich zurückkam, hegte ich einen abgrundtiefen Groll gegen sie.
Eines Nachts, während unseres ersten Aufenthalts in Verona, versetzte sie mich in einer dunklen Straße in basses Erstaunen.
»Lebt dein Vater eigentlich noch?« fragte sie. Diesmal war sie zwei Monate fortgewesen. Ich hatte sie bitterlich vermißt, und nun erkundigte sie sich nach ihm, als würde ihm plötzlich ihre ganze Sorge gelten. Aber als ich »Ja, und er ist sehr krank« antwortete, schien sie gar nicht hinzuhören. Ich versuchte ihr dann zu erzählen, daß es schlimm um Frankreich stehe. Mit Sicherheit würde es eine Revolution geben. Sie schüttelte ihren Kopf und wischte das alles mit einer Handbewegung fort.
»Denke nicht mehr an ihn«, sagte sie. »Vergiß ihn und all die anderen auch.« Und wieder einmal war sie auf und davon.
Um der Wahrheit die Ehre zu geben, ich wollte niemanden vergessen. Ich hatte nie aufgehört, Roget zu schreiben und um Nachrichten über meine Familie zu bitten. Ich schrieb ihm öfter als Eleni. Ich bat um Portraits meiner Nichten und Neffen, und nie versäumte ich, von all meinen Aufenthaltsorten Geschenke nach Frankreich zu schicken. Und die drohende Revolution beunruhigte mich nicht weniger als jeden sterblichen Franzosen.
Schließlich blieb Gabrielle immer länger fern, und die Zeiten unseres Zusammenseins wurden immer spannungsgeladener, und ich fing an, mit ihr darüber zu streiten.
»Die Zeit wird unsere Familie auslöschen«, sagte ich. »Die Zeit wird das Frankreich auslöschen, das wir kannten. Warum sollte ich sie jetzt aufgeben, solange ich sie noch haben kann? Ich brauche diese Dinge, wirklich. Das ist es, was für mich das Leben ausmacht!«
Aber das war nur
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