Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis
die eine Hälfte. Ich hatte Gabrielle sowenig wie die anderen. Sie muß gewußt haben, was ich wirklich meinte. Sie muß die versteckte Anklage hinter meinen Worten gehört haben.
Solche Worte stimmten sie traurig und weckten ihre Zärtlichkeit. Sie ließ mich ihre Kleider reinigen, ihr das Haar kämmen. Und danach gingen wir zusammen auf die Jagd und sprachen miteinander. Manchmal begleitete sie mich sogar in die Kasinos oder in die Oper. Sie konnte für kurze Zeit eine wundervolle Frau sein.
Und diese Momente schweißten uns noch immer zusammen. Sie gaben unserem Glauben Nahrung, wir seien nach wie vor ein kleiner Orden, ein Liebespaar, das sich gegen die sterbliche Welt behauptete.
Wenn wir am Kamin irgendeines Landhauses saßen, wenn wir zusammen auf dem Kutschbock saßen und durch die Gegend fuhren, wenn wir zusammen durch die nächtlichen Wälder strichen, teilten wir uns noch immer gelegentlich unsere Beobachtungen mit. Wir spürten sogar zusammen Häuser auf, in denen es spukte - ein neues Freizeitvergnügen, das uns beiden großen Spaß machte. Zuweilen kehrte Gabrielle von ihren Reisen zurück, nur weil sie von Geistererscheinungen gehört hatte und der Sache mit mir auf den Grund gehen wollte.
Meistens freilich fanden wir überhaupt nichts in den leeren Häusern, in denen es angeblich spukte. Und die armen Kerle, die vermeintlich vom Teufel besessen waren, stellten sich oft genug als ganz gewöhnliche Schwachsinnige heraus. Doch kam es schon vor, daß wir vorbeihuschende Erscheinungen oder Vorkommnisse sahen, die wir uns nicht erklären konnten - Gegenstände, die einfach durch die Luft flogen, tosende Stimmen aus den Mündern besessener Kinder, eisige Winde, die in verschlossenen Räumen Kerzen ausbliesen. Aber mehr als das, was bereits hundert sterbliche Gelehrte gleichfalls beschrieben hatten, haben wir auch nicht gesehen.
Für uns war das eigentlich nur eine Art Spielerei. Und wenn ich jetzt zurückblicke, wird mir klar, daß wir das nur fortführten, weil es uns zusammenhielt, weil es uns eine vergnügliche Zerstreuung bescherte, die uns sonst entgangen wäre.
Gabrielles Abwesenheiten waren freilich nicht das einzige, was im Lauf der Jahre unsere Zuneigung füreinander zerstörte. Es war ihre ganze Art, wie sie sich benahm, wenn sie bei mir war, und es waren die Ideen, die sie erfüllten.
Eines Nachts etwa tauchte sie nach einem Monat in unserem kleinen Haus in der Via Ghibellina in Florenz auf und entwickelte ohne Umschweife ihre neuen Gedanken. »Du weißt, daß die Geschöpfe der Nacht reif für einen großen Meister sind«, sagte sie. »Keinen abergläubischen Brabbler, der von alten Riten quasselt, sondern einen großen Monarchen, der uns nach zeitgemäßen Prinzipien zu aktivieren versteht.«
»Was für Prinzipien?« fragte ich, aber ohne auf meine Frage einzugehen, fuhr sie fort.
»Stell dir mal vor«, sagte sie, »wir wären nicht mehr bloß auf dieses heimliche und widerliche Aussaugen der Sterblichen beschränkt, sondern könnten etwas Großartiges vollbringen wie den Turm zu Babel, ehe er dem Zorn Gottes zum Opfer fiel. Ich denke an einen Meister, der von einem Satanspalast aus seine Anhänger aussendet, auf daß Bruder sich gegen Bruder wendet und Mütter ihre Kinder umbringen, auf daß alles, was die Menschheit errungen hat, in Flammen aufgeht, auf daß das Land verbrennt, damit alle Hungers sterben, Unschuldige und Schuldige! Verbreite Elend und Chaos, wohin du kommst, und bezwinge die Macht des Guten, bis die Menschen verzweifeln. So etwas verdient es, das Böse genannt zu werden. Wir sind nichts, du und ich, höchstens zwei exotische Pflänzchen im Wilden Garten. Und die Welt der Menschen ist jetzt auch nicht viel besser oder schlechter als das, was ich Vorjahren in der Auvergne meinen Büchern entnommen habe.«
Mich erfüllte dieses Gespräch mit Abscheu. Und dennoch war ich froh, daß sie bei mir war, daß ich mit jemand anderem als einem armen, hintergangenen Sterblichen reden konnte. Daß ich nicht allein war mit meinen Briefen aus der Heimat.
»Aber wie steht es um deine ästhetischen Erwägungen?« fragte ich. »Das, was du Armand auseinandergesetzt hast, als du wissen wolltest, warum Schönheit existiert und warum sie uns berührt?«
Sie zuckte die Schultern.
»Wenn die Welt der Menschen in Schutt und Asche versinkt, wird die Schönheit sich entfalten können. Da, wo Straßen waren, werden wieder Bäume wachsen; wo jetzt dumpfige Viehschuppen stehen, werden Blumen
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