Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis
Gemälde und Skulpturen, die ich allein nur in Florenz gesehen hatte. Ich machte mir nichts aus unverfälschter Natur, und die schönste und lieblichste Musik in meinen Ohren war der Klang menschlicher Stimmen. Aber was machten meine Gedanken oder Gefühle schon groß aus?
Gabrielle setzte mir freilich nicht pausenlos mit ihrer eigentümlichen Philosophie zu. Hin und wieder sprach sie auch von praktischen Dingen, die sie dazugelernt hatte. Sie war mir an Mut und Abenteuergeist überlegen. Sie brachte mir einiges bei.
Wir konnten auch in der bloßen Erde schlafen; das hatte sie ja schon vor unserem Reiseantritt festgestellt. Särge und Gräber waren nicht zwingend erforderlich. Und bei Sonnenuntergang erhob sie sich ganz von selbst aus der Erde, sogar schon ehe sie aufgewacht war.
Und jene Sterblichen, die uns während des Tages aufspürten, waren dem Untergang geweiht, es sei denn, sie setzten uns unverzüglich dem Sonnenlicht aus. So hatte sie beispielsweise einmal außerhalb Palermos im Keller eines verlassenen Hauses geschlafen, und als sie aufwachte, waren ihre Augen und ihr Gesicht glühendheiß, und in ihrer Rechten hielt sie einen Sterblichen, mausetot, der offenbar versucht hatte, ihre Ruhe zu stören.
»Er war erwürgt«, sagte sie, »und meine Hand umklammerte noch immer seinen Hals. Und mein Gesicht war von dem Lichtstrahl versengt worden, der durch die geöffnete Tür gedrungen war.«
»Und wenn es mehrere Sterbliche gewesen wären?« fragte ich, nicht wenig beeindruckt. Aber Gabrielle schüttelte nur den Kopf und zuckte die Schultern. Sie schlief nun stets in der Erde, nicht in Kellern oder Särgen, und das machte ihr überhaupt nichts aus. Niemand würde jemals wieder ihre Ruhe stören.
Ich behielt es für mich, aber meiner Meinung nach ging nichts über den Schlaf in einer Gruft. Sich aus einem Grab zu erheben, hatte etwas durchaus Romantisches an sich. Ich ging sogar so weit, daß ich mir in unseren diversen Aufenthaltsorten eigene Särge anfertigen ließ, und ich schlief nicht im Friedhof oder in der Kirche, wie wir es allgemein zu halten pflegen, sondern in einem Versteck innerhalb des Hauses.
Ich muß sagen, daß sie zuweilen geduldig zuhörte, wenn ich ihr solche Sachen erzählte. Sie hörte zu, wenn ich ihr die großartigen Kunstwerke schilderte, die ich im Vatikanmuseum gesehen oder den Chor, den ich in einer Kathedrale gehört hatte, oder die Träume, die ich in der Stunde vorm Aufstehen gehabt hatte, Träume, die offenbar von den Gedanken vorbeiziehender Sterblicher ausgelöst worden waren. Aber vielleicht hat sie ja auch nur gedankenlos auf meine Lippen gestarrt. Wer vermochte es zu sagen? Und dann war sie wieder wortlos verschwunden, und ich ging allein durch die Straßen, sprach laut mit Marius und schrieb ihm jene endlos langen Botschaften, wofür ich manchmal die ganze Nacht brauchte.
Was wollte ich eigentlich - daß sie menschlicher, mir ähnlicher wäre? Armands Prophezeiungen verfolgten mich. Und auch Gabrielle muß gemerkt haben, was los war, daß wir uns immer mehr entfremdeten, daß mir das Herz brach und daß ich zu stolz war, es ihr zu sagen: »Bitte, Gabrielle, ich hatte diese Einsamkeit nicht aus! Bleib bei mir.«
Zu der Zeit, da wir Italien verließen, trieb ich gefährliche Spielchen mit Sterblichen. Ich sah etwa einen Mann oder eine Frau - ein Wesen, das mir gefiel - und folgte diesem Menschen auf Schritt und Tritt. Eine Woche, einen Monat, manchmal sogar noch länger. Ich verliebte mich in die Person. Ich stellte mir eine Freundschaft vor, Gespräche, Intimitäten, die wir niemals würden teilen können. Und imaginär war auch der Moment, wenn ich sagte: »Aber du weißt doch, was ich bin«, und der Mensch antwortete: »Ja, ich weiß. Und ich verstehe alles.«
Alles Unsinn, natürlich. Wie das Märchen, in dem die Prinzessin ihre selbstlose Liebe irgendeinem Ungeheuer schenkt, worauf sich alsbald herausstellt, daß das Biest ein verzauberter Prinz war. Nur in diesem meinem finsteren Märchen würde ich geradewegs in mein geliebtes sterbliches Gegenüber eingehen. Wir würden zu einem Wesen verschmelzen, und ich wäre wieder aus Fleisch und Blut.
Hübsche Idee. Nur fing ich an, immer häufiger an Armands Warnung zu denken, daß ich die Zauber der Finsternis aus denselben Gründen wie früher wieder anwenden könnte. Und ich ließ von meinen Spielchen vollends ab. Ich beschränkte mich mit alter Besessenheit und Grausamkeit auf die Jagd, und es waren nicht nur
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