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Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis

Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis

Titel: Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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hob diese Briefe auf. Ich bewahrte sie so sorgfältig auf wie den Brief meiner Brüder aus der Auvergne. Ich konnte mir die Marionetten ganz genau vorstellen, und ich hörte Nickis Geige aufschreien, und ich konnte mir auch Armand vorstellen, wie er in seiner schwarzen Kutsche eintraf und sich in seiner Loge niederließ. Und all dies beschrieb ich Marius in verschlüsselten Sätzen, wenn ich in dunklen Gassen meine Botschaften meißelte, während die Sterblichen schliefen.
    Aber für mich kam eine Rückkehr nach Paris nicht in Frage, gleichviel, wie sehr ich auch vereinsamen mochte. Ich war hingerissen von den Kathedralen und Schlössern, den Museen und Palästen. Wo ich auch hinkam, ich stürzte mich sogleich mitten ins gesellschaftliche Leben, und in vollen Zügen genoß ich dann alle Zerstreuungen, den Klatsch, die Literatur und Musik, die Kunst und Architektur. Mich begeisterten die Zigeunergeiger und die Puppenspieler auf den Straßen nicht weniger als die großen, kastrierten Sopransänger in den Opernhäusern oder den Kirchenchören. Ich trieb mich in Bordellen und Spielhöllen herum und in verräucherten Seemannskneipen. Überall las ich die Zeitung und lungerte in Kaschemmen herum, wo ich oft etwas zu essen bestellte, ohne das Zeug auch nur anzurühren, nur weil ich es vor mir haben wollte, und ich führte endlose Gespräche mit Sterblichen, lud andere zu zahllosen Gläsern Wein ein, inhalierte den Rauch ihrer Pfeifen und Zigarren und ließ all diese sterblichen Gerüche in mein Haar und meine Kleider dringen.
    Und wenn ich nicht durch die Gegend stromerte, vertiefte ich mich in die Bücher, die einst Gabrielles exklusives Reich gebildet hatten in jenen trübseligen Jahren zu Hause.
    Noch ehe wir in Italien angekommen waren, konnte ich genug Latein, um die Klassiker studieren zu können, und ich legte mir in meinem alten venezianischen Palazzo eine ganze Bibliothek an, und so manchesmal las ich die ganze Nacht hindurch.
    Und natürlich tat es mir besonders die Erzählung über Osiris an, da sie mir Armands Geschichte und Marius’ raunende Worte wieder ins; Gedächtnis riefen. Diese Lektüre rührte mich wie ein Donnerschlag. Da ist also im Altertum dieser König Osiris, ein Mann von überirdischer Güte, der den Ägyptern den Kannibalismus austreibt und ihnen beibringt, wie man Wein und Getreide anbaut. Und auf welche Weise wird er von seinem Bruder Typhon umgebracht? Osiris wird hinterlistig überredet, sich in ein Gehäuse zu legen, das genau seinen Körpermaßen entspricht, und sein Bruder Typhon nagelt den Deckel zu. Dann wird er in den Fluß geworfen, und als ihn die getreue Isis findet, taucht Typhon erneut auf, um seinen Leichnam zu zerstückeln. Alle Körperteile werden gefunden - bis auf einen.
    Nun, welchen Grund hatte Marius, diesen Mythos zu erwähnen? Selbstverständlich mußte ich an den Umstand denken, daß alle Vampire in Särgen schlafen, die ihren Körpermaßen entsprechen - sogar der jämmerliche Pöbel in Les Innocents schlief in seinen Särgen. Und was den Körperteil anbelangte, den Isis nie gefunden hat, nun, da gab es etwas, das die Gaben der Finsternis nicht segneten. Wir können zwar sprechen, sehen, schmecken, atmen und uns wie Menschen bewegen, aber wir können nicht zeugen. Und Osiris konnte es auch nicht. So wurde er der Herr der Toten. War er also ein Vampirgott?
    Ich war voll quälender Rätsel. Dieser Gott Osiris war der ägyptische Weingott, der bei den Griechen später Dionysos hieß. Und Dionysos war der »finstere Gott« des Theaters, der Teufelsgott, von dem mir Nicki erzählt hatte, als wir noch Knaben und zu Hause waren. Und wir hatten in Paris ein Theater voller Vampire! Einfach köstlich!
    Ich konnte es kaum erwarten, all das Gabrielle zu erzählen. Aber sie hörte kaum hin und sagte, derlei alte Geschichten gebe es zu Hunderten.
    »Osiris war der Getreidegott«, sagte sie. »Für die Ägypter war er ein guter Gott. Was also könnte das mit uns zu tun haben?« Sie warf einen Blick auf die Bücher, die ich studierte. »Du mußt noch viel lernen, mein Sohn. So mancher Gott des Altertums ist von seiner Göttin zerstückelt und dann beweint worden. Lies nur die Sage von Aktaion und Adonis. Früher liebte man solche Geschichten.«
    Und fort war sie. Und ich war allein in meiner von Kerzen erleuchteten Bibliothek, zwischen all den Büchern auf meine Ellbogen gestützt.
    Ich grübelte über Armands Traum vom Kloster JENER, DIE BEWAHRT WERDEN MÜSSEN nach. Handelte es sich

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