Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis
Geigenkasten der Stradivari. Wieder wollte ich etwas sagen, nur mir selbst, aber meine Kehle schnürte sich zu. Ich hob den Brief auf, der neben das polierte Holz geglitten war.
Wie ich befürchtet hatte, ist das Schlimmste eingetreten. Unser Altester Freund, der Exzesse unseres Geigers überdrüssig, hat ihn schließlich in Deiner alten Residenz gefangengesetzt. Und obwohl ihm seine Geige in die Zelle mitgegeben wurde, hat man ihm die Hände abgetrennt.
Aber erschrick nicht! Solche Anhängsel können unsereins jederzeit wieder angefügt werden. Und die fraglichen Anhängsel hatte Unser Altester Freund in sicherer Verwahrung. Allerdings hatte er dem Verstümmelten ganze fünf Nächte lang jegliche Nahrung vorenthalten.
Schließlich konnte die Truppe Unseren Altesten Freund dazu bewegen, N. freizulassen und ihm alles zurückzugeben, was sein war.
Aber N., verrückt vor Schmerz und Hunger - derlei kann einen um hundertachtzig Grad drehen -, versank für geraume Zeit in ein durch nichts zu brechendes Schweigen.
Schließlich suchte er uns auf, nur um uns mitzuteilen, daß er nach Art der Sterblichen sein Haus bestellt habe. Er überreichte uns einen Stapel gerade geschriebener Stücke. Und wir sollten für ihn irgendwo auf dem Lande zum alten Sabbat zusammenrufen, um das übliche Feuer zu entfachen. Sollten wir uns weigern, würde er das Theater in seinen Scheiterhaufen verwandeln.
Unser Ältester Freund gewährte ihm darauf seinen Wunsch, und einen solchen Sabbat hast Du bestimmt nie gesehen, zumal wir in unseren Perücken und Vampirkostümen einen wahrhaft höllischen Anblick boten, als wir nach alter Sitte einen Kreis bildeten und mit dem Gehabe erfahrener Schauspieler die alten Gesänge anstimmten.
»Wir hätten es auf dem Boulevard machen sollen«, sagte N. »Aber hier, schick das meinem Schöpfer«, und er überreichte mir die Geige. Wir fingen alle zu tanzen an, um in Ekstase zu geraten, und ich glaube, noch nie waren wir so gerührt, so verschreckt, so traurig. Und er begab sich in die Flammen.
Ich weiß, daß Dich diese Neuigkeiten betroffen machen werden. Aber Du mußt wissen, daß wir wirklich alles getan haben, um das zu verhindern, was nun eingetreten ist. Unser Altester Freund war verbittert und schmerzerfüllt. Du sollst auch wissen, daß wir bei unserer Rückkehr nach Paris entdeckten, daß N. das Theater offiziell in Theater der Vampire hatte umbenennen lassen, und diese Worte prangten bereits über dem Eingang. Da seine besten Stücke stets von Vampiren und Werwölfen etc. gehandelt haben, kommt der neue Name in der Öffentlichkeit gut an.
Als ich Stunden später auf die Straße trat, gewahrte ich im Halbdunkel einen blassen und hübschen Geist - Ebenbild des jungen, französischen Forschungsreisenden in verschmutztem, weißem Leinenanzug und braunen Lederstiefeln, den Strohhut tief in die Stirn gezogen.
Ich wußte natürlich, wer sie war, und daß wir einst einander geliebt hatten, sie und ich, aber es schien, als hätte ich mich im Moment kaum daran erinnern können.
Ich glaube, ich wollte ihr irgendeine Gemeinheit sagen, um sie zu verletzen und fortzujagen. Aber als sie an meine Seite trat und mit mir ging, sprach ich nichts. Ich gab ihr nur den Brief, damit wir uns nicht zu unterhalten brauchten. Und sie las ihn und steckte ihn fort, und dann legte sie wie früher ihren Arm um mich, und wir gingen zusammen durch die nachtschwarzen Straßen.
Geruch nach Tod und Essen, nach Sand und Kamelmist. Ägyptische Gerüche. Geruch eines Landes, das sich seit sechstausend Jahren nicht geändert hatte.
»Was kann ich für dich tun, mein Liebling?« flüsterte sie.
»Nichts«, sagte ich.
Es war meine Schuld, ich hatte ihn verrührt, zu dem gemacht, was er war, und dann zurückgelassen. Ich hatte ihm die Möglichkeit genommen, ein anderes Leben zu führen.
Später sah sie mir wortlos zu, wie ich meine Botschaft an Marius auf eine alte Tempelmauer schrieb. Ich schilderte das Ende Nicolas’, des Geigers im Theater der Vampire, und ich meißelte meine Worte mit einer Sorgfalt, die selbst einem ägyptischen Handwerker gut angestanden hätte. Epitaph für Nicki, ein jetzt schon vergessener Gedenkstein, dessen Inschrift vielleicht nie jemand lesen oder verstehen wird.
Seltsam, sie bei mir zu wissen. Seltsam, sie ständig um mich zu haben.
»Du wirst nicht nach Frankreich zurückkehren, oder?« fragte sie mich schließlich. »Du wirst nicht wegen dieser Untat zurückgehen?«
»Wegen der Hände?«
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