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Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis

Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis

Titel: Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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nicht?
    Gabrielle bat mich, mit ihr flußaufwärts zu reisen. Eigentlich wollte ich auf Post warten und durchreisende Engländer ausfragen, aber ich war einverstanden. Schließlich war es schon recht beachtlich, daß sie mich dabeihaben wollte. Auf ihre Weise mochte sie mich.
    Ich wußte, daß sie den Linnengehrock und die Kniehose nur mir zu Gefallen trug, so wie sie für mich auch ihr langes Haar offen trug. Aber das konnte jetzt auch nichts mehr ändern. Ich versank. Ich spürte es. Ich trieb durch die Welt wie in einem Traum.
    Für mich war es ganz natürlich, daß ich von einer Landschaft umgeben war, die noch genauso wie vor Jahrtausenden aussah, als Künstler sie auf die Wände der königlichen Grabkammern malten. Ganz natürlich, daß die Palmen im Mondschein genau wie damals waren. Ganz natürlich, daß der Bauer auf dieselbe Weise wie damals das Wasser aus dem Fluß schöpfte. Und die Kühe, die er zur Tränke führte, waren auch die gleichen.
    Bilder von der Welt, als die Welt noch neu gewesen war.
    Hatte Marius je diesen Sand betreten?
    Wir gingen durch den riesigen Tempel des Ramses, hell entzückt von den unzähligen winzigen Bildern auf den Wänden. Ich mußte an Osiris denken, aber die kleinen Figuren waren andere. Wir streiften durch die Ruinen von Luxor. Wir lagen zusammen im Boot unter den Sternen.
    Als wir auf dem Rückweg nach Kairo zu den Memnonkolossen gelangten, erzählte sie mir aufgeregt flüsternd, daß schon die römischen Kaiser die beschwerliche Reise nicht gescheut hätten, um diese Statuen zu bewundern.
    »Schon zur Zeit der Cäsaren waren das antike Monumente«, sagte sie, während wir auf unseren Kamelen durch den kühlen Sand ritten.
    Die riesigen Steinfiguren hoben sich scharf gegen den tierblauen Himmel ab. Die Gesichter zerstört, schienen sie dennoch in die Ferne zu starren, stumme Zeugen der Vergänglichkeit, deren Schweigen mir Trauer und Furcht einflößte.
    Mich ergriff derselbe Schauder wie schon angesichts der Pyramiden. Alte Götter, alte Mysterien. Mich fröstelte. Und doch, was waren diese Statuen schon anderes als gesichtslose Wächter, Herrscher über ein endloses Ödland?
    »Marius«, flüsterte ich vor mich hin. »Hast du sie gesehen? Wird auch nur einer der Unseren so lange überdauern?«
    Aber Gabrielle unterbrach meine Träumereien. Sie wollte absteigen und den Rest des Weges zu den Statuen zu Fuß zurücklegen. Ich hatte nichts dagegen, obwohl ich nicht wußte, was wir mit diesen großen, stinkenden, starrsinnigen Kamelen anfangen sollten, wie man sie dazu bewegte niederzuknien und so.
    Aber sie wußte es. Und sie hieß sie auf uns warten, und wir stapften durch den Sand. »Komm mit mir ins Innere Afrikas, in die Dschungel«, sagte sie. Ihr Gesicht war ernst, ihre Stimme ungewöhnlich sanft.
    Einen Augenblick lang antwortete ich nicht. Irgend etwas an ihrer Art beunruhigte mich. Oder hätte mich zumindest beunruhigen sollen. Ich hätte einen Ton hören müssen, so durchdringend wie das Morgengeläut der Glocken der Hölle.
    Ich wollte nicht in die afrikanischen Dschungel eindringen, und sie wußte das. Ich wartete fieberhaft auf Rogets Nachrichten über meine Familie, und ich wollte die Städte des Orients aufsuchen und über Indien nach China und Japan reisen.
    »Ich habe volles Verständnis für deine Lebensweise«, sagte sie. »Und inzwischen bewundere ich, mit welcher Beharrlichkeit du daran festhältst, das sollst du wissen.«
    »Das gleiche kann ich auch von dir behaupten«, sagte ich leicht .verbittert.
    Sie hielt inne. Wir hatten uns den Riesenstatuen bis auf wenige Schritte genähert. Überwältigend, erdrückend. Der Himmel über uns war ebenso unermeßlich wie sie, und endlos war die Wüste, und zahllos waren die ewigen Sterne.
    »Lestat«, sagte sie langsam, ihre Worte abwägend, »ich bitte dich, nur ein einziges Mal zu versuchen, so wie ich durch die Welt zu ziehen.«
    Der Mond goß sein Licht auf Gabrielle, aber der Hut überschattete ihr kleines, weißes Gesicht.
    »Vergiß das Haus in Kairo«, sagte sie plötzlich und senkte ihre Stimme, als wolle sie ihren Worten mehr Gewicht verleihen. »Entsage all deinen Schätzen, deinen Kleidern, den Sachen, die dich an die Zivilisation ketten. Komm mit mir nach Süden, den Fluß hinauf ins Innere Afrikas. Reise mit mir, wie ich reise.«
    Ich antwortete noch immer nicht. Mein Herz klopfte. Und sie murmelte mir leise zu, daß wir die geheimen Stämme Afrikas sehen würden, von denen die Welt nichts wußte.

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