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Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis

Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis

Titel: Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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fragte ich sie. »Weil er ihm die Hände abgeschnitten hat?«
    Sie sah mich an, und ihr Gesicht wurde so glatt, als hätte ein Schock ihre Mimik lahmgelegt. Dabei wußte sie doch Bescheid. Sie hatte den Brief gelesen. Was also schockierte sie? Vielleicht die Art, wie ich es sagte.
    »Dachtest du, ich würde zurückreisen, um Rache zu nehmen?«
    Sie nickte unsicher. Sie wollte den Gedanken gar nicht erst in mir aufkeimen lassen.
    »Wie könnte ich?« sagte ich. »Das wäre doch reine Heuchelei, wo ich Nicolas zurückgelassen und voll damit gerechnet habe, daß sie alles tun würden, was getan werden müßte.«
    Kaum merkliche Änderungen in ihrem Gesicht. Mir gefiel nicht, daß sie plötzlich heftige Gefühle hatte. Das paßte nicht zu ihr.
    »Tatsache ist, daß das kleine Monster nur helfen wollte, als er es tat, als er die Hände abschnitt, meinst du nicht? Es muß ihn viel Überwindung gekostet haben, wo er Nicki doch einfach hätte verbrennen können.«
    Sie nickte, aber sie sah elend aus und gleichzeitig schön. »Das habe ich mir auch gedacht«, sagte sie. »Aber ich nahm an, daß du da anderer Ansicht bist.«
    »Oh, ich bin Monster genug, um Verständnis zu haben«, sagte ich. »Kannst du dich erinnern, was du mir vor zwei Jahren erzählt hast, als wir noch alle zu Hause waren? Und zwar genau an dem Tag, als er mit den Händlern kam, um mir den roten Mantel zu überreichen? Du hast gesagt, daß sein Vater wegen des Geigespielens so wütend auf ihn sei, daß er angedroht habe, ihm die Hände zu brechen. Glaubst du, daß uns unser Schicksal ereilt, egal, was passiert? Ich meine, glaubst du, daß wir sogar als Unsterbliche einem Pfad folgen, der uns schon zu Lebzeiten bestimmt war? Stell dir nur vor, der Ordensmeister hat ihm die Hände abgeschnitten.« In den folgenden Nächten wurde deutlich, daß sie mich nicht allein lassen wollte. Und ich spürte, daß sie wegen Nickis Tod bei mir geblieben wäre, wo auch immer wir uns befinden mochten. Aber es machte schon etwas aus, daß wir in Ägypten waren. Es war hilfreich, daß sie in die Ruinen und Monumente hier geradezu vernarrt war.
    Vielleicht mußten Menschen sechstausend Jahre tot sein, bevor sie sie lieben konnte. Ich habe mir überlegt, ob ich ihr das sagen sollte, um sie ein wenig aufzuziehen, aber das war nur so eine Idee. Diese Monumente waren so alt wie die Berge, die sie liebte. Der Nil hatte die Phantasie des Menschen seit Urzeiten beflügelt.
    Wir erklommen die Pyramiden zusammen, wir stiegen in die Arme der Sphinx. Wir brüteten über Inschriften auf alten Steintafeln. Wir studierten die Mumien, die man von Dieben für ‘n Appel und ‘n Ei kaufen konnte. Wir ließen das Wasser des Flusses durch unsere Finger gleiten, und wir gingen in den winzigen Gassen Kairos zusammen auf Jagd, und wir besuchten die Freudenhäuser, lehnten uns in die Kissen und sahen den Knaben beim Tanzen zu und lauschten der erotischen Musik, die eine Zeitlang den Klang einer Geige übertönte, der mir nicht aus dem Kopf ging.
    Ich stand dann gerne auf, um wie wild und völlig selbstvergessen zu diesen exotischen Klängen zu tanzen, zu dem Wehklagen der Blasinstrumente, dem Geklimper der Lauten. Gabrielle blieb indessen sitzen und lächelte unter ihrem schmutzstarrenden Strohhut hervor. Wir redeten nicht mehr miteinander. Sie war lediglich eine blasse, katzenartige Schönheit, die neben mir durch die endlose Nacht trieb. Stolz wie eine Königin und schlaff wie ein Vampir schritt sie einher mit dreckverschmierten Wangen, ihrem mit einem dicken Ledergurt zusammengebundenen Mantel, ihrem wallenden Haar, der kleine Mund nur ein rosenroter Fleck. Reizend und zweifellos bald wieder über alle Berge.
    Doch sie blieb bei mir, sogar, als ich eine fürstliche Unterkunft mietete, das ehemalige Haus eines Mameluckenherrschers, mit prachtvollen Kachelböden und kunstvollem, von der Decke hängendem Zeltwerk. Sie half mir sogar, den Innenhof mit Bougainvilleas und Palmen und allen möglichen tropischen Gewächsen zu bepflanzen, bis wir einen richtigen Dschungel hatten, den sie mit Papageien, Finken und Kanarienvögeln bestückte.
    Sie nickte sogar hin und wieder teilnahmsvoll, wenn ich klagte, weil keine Briefe aus Paris kamen und ich verzweifelt nach Neuigkeiten lechzte. Warum hörte ich nichts von Roget? War Paris in Aufruhr und Chaos versunken? Nun, meine Familie in der fernen Provinz würde das nicht berühren, oder? Aber war Roget vielleicht etwas zugestoßen? Warum schrieb er

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