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Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis

Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis

Titel: Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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wartete, beobachtete mich, versuchte, geduldig zu sein. Dann sagte er leise: »Komm, laß uns gehen.«

4
    Eine Treppe in die Erde hinab.
    Eine Treppe, die viel älter war als das Haus. Ausgetretene Stufen. Tiefer und tiefer in den Felsen hinein.
    Ab und zu eine grobgemeißelte Luke zum Meer, Öffnungen, die zu klein waren, als daß ein Mensch sich hätte durchzwängen können, ab und zu ein Sims, auf dem Vögel nisteten oder aus dessen Sprüngen wildes Gras wuchs.
    Und dann der Frosthauch, der unerklärliche Frosthauch, den man zuweilen in alten Klöstern antrifft, in verfallenen Kirchen, in verhexten Gemächern.
    Ich blieb stehen und rieb mir die Arme. Der Frosthauch drang aus den Stufen.
    »Sie verursachen das nicht«, sagte er sanft. Er wartete ein paar Stufen unter mir. Das Halbdunkel überzog sein Gesicht mit Lichtem und Schatten, die sterbliches Alter vortäuschten. »Es war schon so, lange ehe ich sie hergebracht habe«, sagte er. »Viele sind auf diese Insel gekommen, um ihre Riten abzuhalten. Vielleicht war es auch schon lange vor ihnen so.« Er winkte mich mit seiner gewohnten Geduld herbei. Seine Augen drückten Mitleid aus. »Hab keine Angst«, sagte er wieder, während er weiterging.
    Die Stufen schienen kein Ende zu nehmen. Wir gelangten zu größeren Luken, und das Rauschen des Meeres wurde stärker. Ich spürte die kühle Gischt auf meinen Händen und meinem Gesicht, sah die feuchten Steine schimmern. Aber noch immer stiegen wir hinab, und das Echo unserer Schuhe brach sich an der gewölbten Decke, an den groben Mauern. Das war tiefer als jedes Verlies, das war der Schacht, den man als Kind gräbt, um dabei seinen Eltern vorzuprahlen, man würde ein Loch zum Erdmittelpunkt graben.
    Wir gelangten zu einer Kehre, und endlich sah ich Licht auflodern, zwei Lampen vor einer zweiflügeligen Tür.
    Große Ölfässer speisten die Dochte der Lampen. Und die Türen waren mit einem riesigen Eichenbalken verriegelt, den zu heben es mehrerer Männer, vielleicht sogar Brechstangen und Seile bedurft hätte. Aber Marius hob den Balken ohne Schwierigkeiten und legte ihn beiseite, und dann trat er zurück und blickte auf die Türen. Ich hörte, wie sich innen ein weiterer Balken bewegte. Dann öffneten sie sich langsam, und mir stockte der Atem.
    Genau wie das Haus oben auch, war der Raum, den ich erblickte, mit prächtigsten Blumen und helleuchtenden Lampen ausgestattet. Hier in der Tiefe waren Lilien, wachsartig und weiß, und rote und rosa Rosen. Dieses Zimmer war eine Kapelle, ins milde Geflacker der Weihekerzen und den Duft von tausend Blumensträußen getaucht.
    Die Wände waren wie Wände alter italienischer Kirchen mit Fresken bemalt, von Blattgold durchsetzt. Aber das waren nicht die Bildnisse christlicher Heiliger: ägyptische Palmen, die gelbe Wüste, die drei Pyramiden, die blauen Wasser des Nil. Und ägyptische Männer und Frauen in ihren wohlgeformten Feluken auf dem Fluß, unter ihnen die farbenprächtigen Fische, über ihnen die lilagefiederten Vögel. Und alles mit Gold durchwirkt - die Sonne am Himmel, die fernen Pyramiden, die Schuppen der Fische und die Flügel der Vögel, der Schmuck der zartgliedrigen ägyptischen Gestalten, die in ihren langen, schmalen, grünen Booten standen und starr geradeaus blickten.
    Ich schloß kurz meine Augen, dann öffnete ich sie langsam wieder und begriff, daß ich in einer Art heiliger Stätte war.
    Auf einem liliengeschmückten, niederen Steinaltar stand ein gewaltiges Tabernakel, reich mit ägyptischen Symbolen verziert. Und durch die Schächte im Felsen darüber wehte die Luft, brachte die Flammen der ständig brennenden Lampen zum Erzittern, kräuselte die großen, grünen Blätter der Lilien, die trunken duftend in ihren Vasen standen.
    Ich konnte fast die Hymnen, die alten Bittgesänge hören, die in dieser Stätte erklungen waren. Und ich hatte keine Angst mehr. Die Schönheit des Ganzen hatte mich überwältigt und beschwichtigt.
    Aber ich starrte auf die goldenen Türen des Tabernakels. Das Tabernakel war größer als ich und dreimal so breit. Auch Marius hatte seine Augen darauf geheftet. Und ich spürte, wie er die schwache Hitze seiner unsichtbaren Kraft verströmte, und ich hörte, wie sich das Schloß hinter den Türen des Tabernakels auftat.
    Ich wäre näher an ihn herangetreten, wenn ich es gewagt hätte. Ich atmete nicht, als sich die goldenen Türen vollständig öffneten, um den Blick auf zwei herrliche ägyptische Figuren freizugeben - einen

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