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Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis

Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis

Titel: Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Mann und eine Frau, die nebeneinandersaßen. Das Licht umspielte ihre schmalen, wohlgeformten, weißen Gesichter und Gliedmaßen, blitzte in ihren dunklen Augen auf. Sie waren so streng wie alle ägyptischen Statuen, die ich kannte, sparsam im Detail, schön in ihrer Kontur, großartig in ihrer Schlichtheit, und nur ihr kindlicher Gesichtsausdruck milderte den Eindruck der Härte und Kühle. Aber im Gegensatz zu gewöhnlichen Statuen trugen sie echte Stoffgewänder und echtes Haar.
    Ich hatte in italienischen Kirchen schon Heilige gesehen, die ebenfalls angezogen gewesen waren, Marmorstatuen, in Samt gehüllt, und das hatte nicht immer besonders erfreulich ausgesehen. Aber hier war man sehr dezent zu Werke gegangen. Die Perücken der beiden waren aus vollen schwarzen Strähnen, die geradegeschnitten über die Stirn hingen und mit einem Goldreif gekrönt waren. Um ihre nackten Arme schlängelten sich Armbänder, und an den Fingern trugen sie Ringe. Und ihre Kleider waren aus feinstem weißen Leinen, der Mann, bis zur Hüfte nackt, trug nur eine Art Rock, und die Frau war mit einem langen, enganliegenden Faltenkleid angetan. Beide trugen eine Vielzahl goldener Halsketten, in die Edelsteine eingelegt waren. Fast gleich groß, saßen sie beide in gleicher Körperhaltung da, die Hände Hach auf die Schenkel gelegt. Und diese Gleichartigkeit erstaunte mich irgendwie, wie auch ihre starre Schönheit und die juwelenhafte Beschaffenheit ihrer Augen.
    Noch nie hatte ich derartig lebensechte Skulpturen gesehen, und dennoch hatten sie nichts Lebendiges an sich. Vielleicht lag es ja an der Kleidung, dem Lichtergefunkel auf ihren Halsketten und Ringen, dem gebrochenen Licht in ihren glühenden Augen.
    Waren sie Isis und Osiris? Und die Gravur, die ich auf ihren Halsketten und Haarreifen sah, waren das kleine Schriftzeichen?
    Marius sagte nichts. Er hielt, wie ich, den Blick auf sie geheftet - mit undurchdringlicher Miene.
    »Darf ich näher an sie herangehen?« flüsterte ich.
    »Natürlich«, sagte er.
    Ich schritt vor zum Altar, wie ein Kind in der Kirche. Kurz vor ihnen blieb ich stehen und sah ihnen direkt in die Augen, die in ihrer Tiefe und ihrem Glanz fast allzu wirklich waren. Mit unendlicher Sorgfalt war jede Wimper, jedes Haar ihrer schwarzen, leicht geschwungen Augenbrauen angebracht worden. Mit unendlicher Sorgfalt waren ihre Münder modelliert worden, halboffen, so daß man ihre Zähne schimmern sah. Und die Gesichter und Arme waren so gewissenhaft poliert worden, daß nichts, aber auch nichts den vollkommenen Glanz trübte. Und wie alle Statuen oder bemalten Figuren, die geradeaus blicken, schienen sie mich anzusehen.
    Ich war verwirrt. Wenn sie nicht Isis und Osiris waren, wen sollten sie dann darstellen? Welche alte Wahrheit symbolisierten sie? Und warum der Imperativ in der Wendung JENE, DIE BEWAHRT WERDEN MÜSSEN!?
    Den Kopf ein wenig zur Seite geneigt, war ich nachdenklich in ihren Anblick versunken. Die Augen waren wahrhaft braun, in der Mitte die abgrundtiefen Pupillen, und das Weiße sah feucht aus, als sei es mit einem hochglänzenden Lack überzogen, und die Lippen waren von zartestem, aschfahlem Rosa.
    »Ist es gestattet…?« flüsterte ich und drehte mich zu Marius um, war aber zu schüchtern, die Frage ganz auszusprechen.
    »Du darfst sie berühren«, sagte er.
    Doch das schien mir der reinste Frevel zu sein. Ich betrachtete sie noch eine Weile, vor allem ihre Fingernägel, die unseren Fingernägeln bemerkenswert ähnlich sahen - als hätte sie jemand aus eingelegtem Glas gefertigt.
    Ich dachte, es sei wohl nicht allzu frevelhaft, den Handrücken des Mannes zu berühren, aber am liebsten hätte ich das Gesicht der Frau berührt. Schließlich hob ich zögernd meine Finger und ließ sie über ihre Wange streichen. Und dann sah ich ihr in die Augen.
    Was ich da fühlte, konnte nicht Stein sein. Es konnte nicht… Das fühlte sich ja genau wie… Und die Augen der Frau, irgend etwas…
    Ich sprang zurück, ehe ich wußte, was ich tat.
    Ich schoß förmlich zurück, warf die Vasen mit den Lilien um, und prallte gegen die Wand neben der Tür.
    Ich zitterte so heftig, daß ich mich kaum auf den Beinen halten konnte.
    »Sie leben!«, sagte ich. »Das sind keine Statuen! Das sind Vampire, genau wie wir!«
    »Ja«, sagte Marius. »Dieses Wort ist ihnen allerdings nicht geläufig.«
    Er stand genau vor mir und war noch immer in ihren Anblick versunken.
    Dann drehte er sich langsam um, kam zu mir und ergriff meine

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