Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis
rechte Hand.
Das Blut war mir ins Gesicht gestiegen. Ich wollte etwas sagen, aber ich konnte nicht. Ich starrte sie weiterhin an. Und jetzt starrte ich ihn an und die weiße Hand, die die meine festhielt.
»Es ist schon gut«, sagte er fast traurig. »Ich glaube nicht, daß sie etwas dagegen haben, wenn du sie berührst.«
Zuerst wußte ich nicht, was er meinte. Dann wußte ich es. »Das heißt, du… Du weißt nicht, ob… Sie sitzen nur da und… Mein Gott!«
Und ich erinnerte mich seiner Worte vor hundert Jahren, so wie Armand sie in seiner Geschichte wiedergegeben hatte: JENE, DIE BEWAHRT WERDEN MÜSSEN, sind friedlich und ruhig. Viel mehr werden wir vielleicht nie erfahren.
Mir schauderte. Ich konnte dem Zittern in meinen Armen und Beinen keinen Einhalt gebieten. »Sie atmen, denken, leben wie wir«, stammelte ich. »Wie lange verharren sie schon in diesem Zustand, wie lange?«
»Beruhige dich«, sagte er und tätschelte mir die Hand.
»Mein Gott«, sagte ich wieder und wieder. »Aber wer sind sie?« fragte ich schließlich. »Sind sie Isis und Osiris? Sind sie es?«
»Ich weiß es nicht.«
»Ich möchte fort von ihnen. Ich möchte hier raus.«
»Warum?« fragte er ruhig.
»Weil sie … sie sind in ihrem Inneren lebendig, und sie… sie können weder sprechen noch sich bewegen!«
»Woher willst du das wissen?« sagte er. Seine Stimme war leise und beruhigend wie zuvor.
»Aber sie tun’s nicht. Darum geht es. Sie tun es nicht…«
»Komm«, sagte er. »Ich möchte, daß du sie dir noch ein wenig ansiehst. Und dann gehen wir wieder nach oben, und ich werde dir alles erzählen, wie versprochen.«
»Ich möchte sie nicht mehr ansehen, Marius, wirklich nicht«, sagte ich kopfschüttelnd und versuchte, meine Hand zu lösen. Aber er hielt sie so fest, als sei er selbst eine Statue, und ich mußte immerzu daran denken, wie sehr ihre Haut seiner Haut glich, wie er zuweilen von dem gleichen unmöglichen Glanz überzogen war, wie sein Gesicht zuweilen so glatt war wie die ihren!
Er war auf dem besten Wege, so zu werden wie sie. Und irgendwann im Schlund der Ewigkeit würde ich so werden wie er! Sollte ich so lange überleben.
»Bitte, Marius…«, sagte ich. Ich wollte nur raus hier.
»Dann warte auf mich«, sagte er geduldig. »Bleib hier.«
Und er ließ meine Hand aus. Er drehte sich um und heftete seinen Blick auf die Blumen, die ich zerdrückt hatte, das verschüttete Wasser. Und vor meinen Augen wurde alles wieder in Ordnung gebracht, die Blumen in die Vase zurückgesteckt, das Wasser vom Boden gezaubert.
Er stand da und sah die beiden vor ihm an, und dann hörte ich seine Gedanken. Er begrüßte sie auf eine persönliche Art, die weder Anrede noch Titel verlangte. Er erklärte ihnen, warum er die letzten paar Nächte fortgewesen sei. Er sei in Ägypten gewesen. Und er habe ihnen Geschenke mitgebracht, die er ihnen bald überreichen werde. Er werde sie schon sehr bald wieder herausholen, damit sie den Blick aufs Meer genießen könnten.
Allmählich beruhigte ich mich ein wenig. Aber ich durchdachte jetzt alles, was mir im ersten Schrecken klargeworden war. Er mochte sie. Er hatte sie schon immer gemocht. Er gestaltete diesen Raum so schön aus, da sie ihn dauernd anstarten mußten und sie vielleicht Gefallen an den Gemälden und den Blumen fanden.
Aber er merkte nicht, was in mir vorging. Und ich mußte sie nur wieder direkt ansehen, um mit Entsetzen zu spüren, daß sie lebendig und in sich selbst eingeschlossen waren!
»Ich kann das nicht ertragen«, murmelte ich. Ohne daß er ein Wort darüber zu verlieren brauchte, wußte ich, warum er sie so aufbewahrte. Er konnte sie nicht im tiefen Erdreich beerdigen, weil sie bei Bewußtsein waren. Er durfte sie nicht verbrennen, weil sie hilflos waren und ihre Zustimmung nicht geben konnten. Mein Gott, es wurde immer schlimmer.
Aber er hielt sie, wie die alten Heiden ihre Götter in Tempeln hielten. Er brachte ihnen Blumen. Und jetzt entzündete er Weihrauch für sie, einen kleinen Kuchen Duftharz, den er aus einem seidenen Taschentuch gewickelt hatte. Das, erzählte er ihnen, stamme aus Ägypten. Und er legte ihn in eine kleine Bronzeschale.
Meine Augen fingen zu tränen an. Ich fing regelrecht zu weinen an. Als ich wieder aufblickte, hatte er ihnen den Rücken zugewandt, und ich konnte sie über seine Schulter sehen. Er sah so erschreckend wie sie aus, eine in Stoff gekleidete Statue. Vielleicht ließ er sein Gesicht ja absichtlich in
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