Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis

Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis

Titel: Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
Vom Netzwerk:
Straßen mit den Hurenhäusern und Mördergruben durchforschte, Orte, zu denen die Menschen kamen, um ihre Seele zu verlieren.
    Des Nachts lag ich in meinem kleinen römischen Haus auf dem Bett und rief die Götter an. Ich kämpfte mit meinem Wahnsinn. So wie du war auch ich verwirrt von der Kraft und der Stärke und den lähmenden Gefühlen, die mich jetzt beherrschten. Und eines Nachts, schon gegen Morgen, als das Licht von nur einer Lampe durch die dünnen Vorhänge des Bettes fiel, in dem ich lag, sah ich hinüber zum Gartentor, und dort stand eine reglose schwarze Gestalt.
    Einen Augenblick lang glaubte ich zu träumen, denn diese Gestalt, die ich dort sah, war völlig geruchlos, schien nicht zu atmen, gab keinen Laut von sich. Und plötzlich wußte ich, daß sie ein Gott sein mußte, aber da war sie auch schon wieder verschwunden, diese Gestalt, die ich gesehen hatte, und ich saß in meinem Bett und starrte ihr nach und versuchte mir ins Gedächtnis zu rufen, was ich gesehen hatte: ein schwarzes nacktes Wesen mit einem kahlen Kopf und roten, stechenden Augen, ein Wesen, das in seine eigene Reglosigkeit versunken schien, merkwürdig schüchtern, und das nur seine Kräfte sammelte, um sich in allerletzter Sekunde davonzumachen, bevor es entdeckt wurde.
    In der darauffolgenden Nacht hörte ich in den Seitengassen eine Stimme nach mir rufen. Aber diese Stimme war nicht so deutlich wie die aus dem Baum. Sie gab mir nur zu verstehen, daß ich mich ganz nah bei der Tür befand. Und dann endlich war der stille, lautlose Augenblick gekommen, in dem ich vor ihr stand.
    Es war ein Gott, der mir öffnete. Es war ein Gott, der zu mir sagte: Komm! Als ich die unvermeidliche Treppe hinabstieg und einem steil nach unten führenden Gang folgte, war ich von Angst erfüllt. Ich zündete die Kerze an, die ich mitgebracht hatte, und sah, daß ich mich in einem unterirdischen Tempel befand, einem Ort, der viel älter war als Alexandrien, einer heiligen Stätte, die vielleicht aus der Zeit der Pharaonen stammte und deren Wände mit kleinen bunten Bildern überzogen waren, die von dem Leben im alten Ägypten erzählten.
    Und dann die Schrift, diese wunderbare Bilderschrift mit ihren kleinen Mumien und Vögeln und ineinanderverschlungenen körperlosen Armen und sich ringelnden Schlangen.
    Ich ging weiter und kam zu einer großen Halle mit viereckigen Pfeilern und hohem Deckengewölbe. Auch hier schmückten Bilder jeden Zentimeter Stein. Und dann sah ich aus den Augenwinkeln heraus etwas, das zuerst wie eine Statue wirkte, eine schwarze Gestalt, die neben einem Pfeiler stand und sich mit der Hand dagegenstützte. Aber ich wußte, daß es keine Statue war. Kein ägyptischer Gott, aus Stein gehauen, wäre je so dagestanden, und er hätte auch kein Leinentuch um die Hüfte geschlungen gehabt.
    Ich drehte mich langsam zu ihm um und riß mich zusammen, um für seinen Anblick gewappnet zu sein, und sah das gleiche verbrannte Fleisch, die gleiche Haarmähne, wenn sie auch schwarz war, die gleichen gelben Augen. Die Lippen um Zähne und Gaumen waren welk, und der Atem kam röchelnd und unter Schmerzen aus seiner Kehle.
    ›Wie und wann bist du gekommen?‹ fragte er auf griechisch. Ich sah mich so, wie er mich sah, strahlend und stark, selbst meine blauen Augen irgendwie geheimnisvoll, und ich sah meine römischen Kleider, meine Tunika aus Leinen, mit Goldspangen auf den Schultern befestigt, meinen roten Umhang. Mit den langen gelben Haaren muß ich wie ein Reisender aus den Wäldern im Norden ausgesehen haben, nur äußerlich ›zivilisiert‹, und vielleicht entsprach das jetzt sogar der Wahrheit.
    Aber er war es, der mich interessierte. Und ich sah ihn jetzt in seiner ganzen Größe, das vernarbte Fleisch, bis auf die Rippen verbrannt, und das Schlüsselbein und die vorspringenden Hüften nur Haut und Knochen. Doch er war nicht ausgehungert, nein. Er mußte erst vor kurzem menschliches Blut getrunken haben. Aber es war, als würden seine Qualen wie Hitze aus ihm herausströmen, als würde ihn das Feuer noch immer von innen her verbrennen, als wäre er selbst eine Hölle.
    ›Wie hast du dich vor den Flammen retten können?‹ fragte er. ›Wie bist du entkommen? Sprich!‹
    ›Ich wurde nicht gerettete erwiderte ich, ebenfalls auf griechisch. Ich trat dicht an ihn heran und hielt die Kerze auf die Seite, weil er davor zurückschreckte. Er war schmal gebaut, mit breiten Schultern, genauso wie die alten Pharaonen, und seine langen schwarzen

Weitere Kostenlose Bücher