Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis
für die Große Göttin dar, und er trank das Blut. Aber die Priester wollten ihm das Geheimnis seiner Unsterblichkeit stehlen, und so hielt er seinen Gottesdienst im verborgenen, und seine Tempel waren nur jenen in seiner Sekte bekannt, die ihn vor dem Sonnengott beschützten, der Osiris mit seinen brennenden Strahlen jederzeit hätte vernichten können. In dieser Legende steckt die Wahrheit, wie du erkennen wirst. Osiris, der Herrscher der Finsternis, hatte also eine übernatürliche Kraft errungen, die von allen, die ihn umgaben, möglicherweise zu unvorstellbar bösen Taten verwendet werden konnte. Und so machte er daraus einen Kult, mit allen Riten und Zeremonien, in dem Bestreben, Das Mächtige Blut nur denen zugänglich zu machen, die es für die weiße Magie und sonst nichts verwenden würden. Und da wären wir nun.‹
›Und Die Mutter und Der Vater, das sind Isis und Osiris?‹
›Ja und nein. Sie sind die ersten. Isis und Osiris sind die Namen in den Mythen, die sie erzählten, oder in dem Kult, den sie für sich erfanden.‹
›Und was war denn nun der Zufall? Wie hat alles angefangen;^ Er sah mich lange schweigend an, dann setzte er sich wieder hin, drehte sich zur Seite und starrte geradeaus, genauso wie vorher.
»Warum sollte ich es dir erzählen?‹ fragte er. Aber diesmal maß er der Frage ein neues Gefühl bei, als meinte er sie ernst und als müßte er die Antwort selbst finden. »Warum sollte ich überhaupt etwas tun? Wenn Die Mutter und Der Vater nicht aus dem Sand aufstehen, um sich in Sicherheit zu bringen, sobald die Sonne am Horizont aufsteigt, warum sollte ich mich dann rühren? Oder etwas sagen? Oder weitermachen?‹ Wieder sah er zu mir hoch.
›War es das, was passierte? Die Mutter und Der Vater gingen hinaus in die Sonne?‹
›Wurden in der Sonne zurückgelassen, mein lieber Marius‹, sagte er, und zu meinem Erstaunen gewahrte ich, daß er meinen Namen kannte.
»Wurden in der Sonne zurückgelassen. Denn Die Mutter und Der Vater bewegen sich nicht aus eigener Kraft, außer um sich gelegentlich etwas zuzuflüstern oder um diejenigen von uns, die wegen ihres heilenden Blutes zu ihnen kommen, niederzuschlagen. Sie könnten^ uns alle, die verbrannt sind, wiederherstellen, wenn sie uns das heilende Blut zu trinken gäben. Viertausend Jahre existieren Der Vater und Die Mutter nun schon, und unser Blut wird mit jeder Jahreszeit, mit jedem Opfer stärker. Selbst beim Hungern wird es stärker, denn wenn die Zeit des Hungerns vorbei ist, erfreuen wir uns neuer Kraft. Aber Der Vater und Die Mutter kümmern sich nicht um ihre Kinder. Und jetzt sieht es fast so aus, als würden sie sich nicht einmal um sich selbst kümmern. Vielleicht hatten sie nach viertausend Nächten einfach nur den Wunsch, die Sonne zu sehen!
»Seit die Griechen nach Ägypten kamen, seit die alte Kunst auf den Kopf gestellt wurde, haben sie nicht mehr zu uns gesprochen. Sie haben nicht ein einziges Mal auch nur mit der Wimper gezuckt. Und was ist Ägypten jetzt anderes als die Kornkammer Roms? Wenn Die Mutter und Der Vater zuschlagen, um uns von den Blutadern an ihren Hälsen zu vertreiben, dann sind sie hart wie Stahl und durchaus imstande, unsere Knochen zu zermalmen. Und wenn sie sich schon um nichts mehr kümmern, warum sollte ich es dann tun?‹
Ich sah ihn lange Zeit prüfend an. ›Und du meinst, das wäre der Grund, warum die anderen verbrannt sind? Weil Der Vater und Die Mutter draußen in der Sonne gelassen wurden?‹
Er nickte. »Unser Blut stammt von ihnen!‹ sagte er. »Es ist ihr Blut. Es besteht eine direkte Verbindung zu ihnen, und was sie befällt, befällt auch uns. Wenn sie verbrannt werden, dann werden auch wir verbrannt.‹
»Wir haben eine Verbindung zu ihnen!‹ flüsterte ich erstaunt.
»Genau, mein lieber Marius‹, sagte er und sah mich an und schien meine Furcht zu genießen. »Das ist der Grund, warum sie tausend Jahre lang bewahrt wurden, Die Mutter und Der Vater, das ist der Grund, warum ihnen Opfer dargebracht werden, das ist der Grund, warum sie angebetet werden. Was mit ihnen geschieht, geschieht auch mit uns.‹
»Wer hat das getan? Wer hat sie der Sonne ausgesetzt?‹
Er lachte tonlos.
»Der, der sie bewahrt hat‹, sagte er, »der es nicht länger ertragen konnte, der diese feierliche Last schon zu lange hatte tragen müssen, der niemanden sonst dazu bringen konnte, ihm die Last abzunehmen, und der sie dann schließlich weinend und zitternd hinausgeschafft hat in den
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